Im öffentlichen Dienst drohen Warnstreiks

Sind Tarifverhandlungen mit Warnstreiks Rituale aus den 50er Jahren?
Nach einer schnellen Einigung für 2,5 Millionen Beschäftigte von Bund
und Kommunen sieht es jedenfalls nicht aus.

Berlin (dpa) - Im öffentlichen Dienst drohen wegen der weit
auseinanderliegenden Positionen im aktuellen Tarifstreit größere
Warnstreiks. In zentralen Fragen wie beim Einkommen und einer
Besserstellung von Fachkräften müssten beide Seiten jetzt in Potsdam
weiterkommen, sagte der Vorsitzende des Beamtenbunds dbb, Ulrich
Silberbach, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Die Gewerkschaft
Verdi, dbb Beamtenbund und Tarifunion, die Vereinigung der kommunalen
Arbeitgeberverbände (VKA) und Bundesinnenminister Horst Seehofer
(CSU) setzen am Samstag in Potsdam die Gespräche über die Einkommen
der Beschäftigten von Bund und Kommunen nach dem Auftakt Anfang
September fort.

«Wenn sich die Arbeitgeber weigern, über diese Fragen überhaupt nur
konstruktiv zu reden, werden wir nach der zweiten Verhandlungsrunde
den Druck auf die Arbeitgeber massiv erhöhen müssen», sagte
Silberbach. «Das ist in diesem Land immer schwierig, weil Ausstände
beim öffentlichen Dienst natürlich in erster Linie die Bürgerinnen
und Bürger treffen», räumte der dbb-Chef ein. «Aber wenn es dazu
kommt, werden wir dafür sorgen, dass die Menschen den wahren
Verantwortlichen erkennen.»

Verdi-Chef Frank Werneke sagte der «Süddeutschen Zeitung» (Freitag)
mit Blick auf die Corona-Pandemie, der Gesundheitsschutz habe oberste
Priorität - aber grundsätzlich seien Streiks auch jetzt möglich. Auf

die Frage, ob er Streiks in Krankenhäusern oder Kitas diesen Herbst
für vertretbar halte, erwiderte er: «Vertretbar sind Streiks
grundsätzlich in allen Bereichen, denn wir müssen die Interessen
aller Beschäftigten durchsetzen.» Werneke wies aber auf besondere
Regelungen für Krankenhäuser hin: Grundversorgung und Notdienste
seien immer sichergestellt.

«Dass Streiks im Sozial- und Erziehungsdienst auch eine besondere
Herausforderung darstellen, das wissen wir», sagte der
Verdi-Vorsitzende. «Falls wir zu Arbeitskampfmaßnahmen aufrufen
müssen, werden wir das so verantwortungsvoll tun, wie es in dieser
Zeit notwendig ist.»

Vor allem zwischen den Gewerkschaften und dem Verhandlungsführer der
kommunalen Arbeitgeber, Lüneburgs Oberbürgermeister Ulrich Mädge
(SPD), war der Ton zuletzt rau. Mädge hatte in den vergangenen Wochen
mehrfach betont, es gebe nichts zu verteilen. Zuletzt beklagte er,
dass die Verhandlungen noch keine Fortschritte gemacht hätten. «Das
geht nicht zügig genug», sagte Mädge der dpa. «Gerade in diesen
Zeiten ist das Zeitverschwendung.» Die langen Runden seien Rituale
aus den 50er Jahren. «Es passt nicht mehr in die Zeit, die
Arbeitswelt hat sich verändert und ist schneller geworden.
Hoffentlich kommen wir nun zügig vorwärts.»

Silberbach erwiderte: «Die VKA verhindert doch den schnellen
Abschluss, indem sie nicht mal ein verhandlungsfähiges Angebot
vorlegt. Drei Jahre Nullrunden sind kein Angebot, sondern eine
Zumutung für die Kolleginnen und Kollegen.»

Dem öffentlichen Dienst fehlten digitale Infrastruktur und technische
Mittel - vor allem fehlten ihm aber Menschen. «Wir brauchen mehr
Fachkräfte, auch für die muss am Verhandlungstisch ein deutliches
Plus herauskommen.»

Nötig seien auch Antworten für die «katastrophale Situation» im
Gesundheitssystem. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU)
versuche, in Mexiko, dem Kosovo und auf den Philippinen neue
Pflegekräfte anzuwerben, sagte Silberbach mit Blick auf entsprechende
Kampagnen des Gesundheitsressorts. «Wir sollten die Arbeit aber so
attraktiv machen, dass wir auch wieder in unserer eigenen Bevölkerung
Menschen dafür gewinnen können», sagte Silberbach, «anstatt
Pflegekräfte aus dem Ausland anzulocken, die bereit sind, zu
niedrigen Löhnen in Deutschland zu arbeiten».

Die Verhandlungen für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten von Bund
und Kommunen sind in diesem Jahr besonders schwierig. Die Kommunen
nahmen infolge der Corona-Pandemie deutlich weniger Gewerbesteuer
ein. Die Arbeitnehmer hingegen pochen auf mehr Lohn, da viele
Beschäftigtengruppen gerade in der Krise besonders viel geleistet
hätten. Sie fordern um 4,8 Prozent steigende Einkommen.

Die Forderungen betreffen 2,3 Millionen Tarifbeschäftigte. Auf die
mehr als 200 000 Beamten soll das Ergebnis nach Ansicht der
Gewerkschaften übertragen werden. Die zweite Verhandlungsrunde soll
am Sonntag enden, die dritte ist für den 22. und 23. Oktober
angesetzt.