OVG kippt Sexverbot in Bordellen und schlägt Nase-Mund-Schutz vor

Wenn Fitnessstudios in der Corona-Krise unter Auflagen wieder öffnen
dürfen, muss das auch für Bordelle gelten. So sieht es das
NRW-Oberverwaltungsgericht. Und die Richter machen Vorschläge - zum
Beispiel eine Pflicht zum Mund-Nasen-Schutz beim Sex.

Münster (dpa/lnw) - Bordellbetreiber und Prostituierte können ihre
Dienstleistungen in der Corona-Krise vorläufig wieder anbieten. Das
hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) für das Land Nordrhein-Westfalen
in einem am Dienstag veröffentlichten Beschluss entschieden. Die vom
Land erlassene Coronaschutzverordnung ist damit im Bezug auf das
Verbot von sexuellen Dienstleistungen in und außerhalb von
Prostitutionsstätten und Bordellen außer Vollzug gesetzt.

Die vollständige Untersagung aller sexuellen Dienstleistungen sei
derzeit nicht mehr verhältnismäßig, heißt es in der Begründung de
s
OVG. Geklagt hatte der Betreiber eines Erotik-Massagestudios aus
Köln.

Das Land habe mittlerweile weitgehende Lockerungen in nahezu allen
gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bereichen
zugelassen. Aus diesem Grund sei nicht ersichtlich, warum dies nicht
auch für sexuelle Dienstleistungen gelten solle. Ähnlich wie beim Sex
werde auch beim Sport oder im Fitnessstudio heftig geatmet und
vermehrt virushaltiges Aerosol verteilt. Auch sei nicht ersichtlich,
warum die Gefahr bei sexuellen Dienstleistungen höher als bei
privaten Feiern mit bis zu 150 Personen sein soll.

Infektionsgefahren bei sexuellen Dienstleistungen können nach Ansicht
des OVG durch begleitende Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen
gemindert werden. Auch seien weitere Maßnahmen denkbar, so das OVG in
dem Beschluss. So sei in einem neuen Erlass des Landes eine Pflicht
zur Begrenzung der Zahl der Kunden denkbar, Abstandsgebote und
Desinfektionsintervalle für die Dienstleister, ebenso Vorgaben für
regelmäßige Belüftung der Räume. Nach Ansicht des 13. OVG-Senats
kommt auch eine Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung für
Prostituierte und die Kunden in Betracht.

«Dass solche Maßnahmen mit Blick auf die angestrebte Beherrschung des
allgemeinen Infektionsgeschehens durch eine Reduzierung von
Infektionsgefahren per se ungeeignet oder nicht ausreichend wären,
erkennt der Senat nicht», heißt es im Beschluss. Es sei auch nicht
ersichtlich, dass die Einhaltung branchenspezifischer Schutzmaßnahmen
darüber hinaus grundsätzlich dem Geschäftsmodell der Prostitution
zuwiderlaufe.

Die Landesregierung sieht Probleme bei der Umsetzung des OVG-Urteils.
Man müsse nun sehen, wie der Beschluss umzusetzen sei, sagte der
stellvertretende nordrhein-westfälische Ministerpräsident Joachim
Stamp (FDP) am Dienstag in Düsseldorf. «Die Kontaktnachverfolgung ist
in einem Bereich, wo es ein Stück weit um Diskretion geht,
schwierig.» Ein «ernsthaftes Problem» sei auch ein zunehmend
illegaler Bereich, «wo es um brutalste Ausbeutungsverhältnisse gerade
von Frauen geht», sagte Stamp, der auch Familienminister ist.

Stamp sagte, es handele sich um ein «ganz, ganz schwieriges Feld», in
dem die Regierung zu einer Abwägung habe kommen müssen. Es wäre in
NRW schwer zu vermitteln gewesen, eine Maskenpflicht für Schüler im
Unterricht zu verfügen, aber gleichzeitig die Bordelle zu öffnen.
Auch bei den laut Verordnung erlaubten Familienfeiern sei der
körperliche Kontakt ein anderer als bei sexuellen Dienstleistungen.

In dem aktuellen Beschluss kritisiert das OVG, dass die
Landesregierung den Begriff der sexuellen Dienstleistungen sowie die
Orte und Umstände nicht genug differenziert habe. Verboten seien
demnach pauschal Geschlechtsverkehr, aber auch körperliche Berührung
als auch Domina-Dienstleistungen, erotische Massagen,
Escort-Dienstleistungen oder behindertengerechte Sexualbegleitung
oder -Assistenz. Nach Ansicht des OVG seien mildere Beschränkungen
als ein pauschales Verbot durch eine neue Schutzverordnung möglich,
um das Infektionsgeschehen durch das Coronavirus einzudämmen.

Im Juni hatte das OVG (Az.: 13 B 800/20.NE) das Nein des Landes zu
sexuellen Dienstleistungen in der Coronaschutzverordnung noch
abgesegnet. Mit Blick auf die Entwicklung des Infektionsgeschehens
und das Gesamtkonzept des Landes sei das vollständige Verbot aber
heute nicht mehr gerechtfertigt.