Umstrittene Pflegekammer wird mangels Rückhalt aufgelöst Von Michael Evers, dpa

Ausgerechnet in der Corona-Krise wird die Auflösung der Pflegekammer
in Niedersachsen angekündigt. Sozialministerin Reimann ist es nicht
gelungen, den Streit um die Kammer zu einem konstruktiven Ende zu
bringen. Am Land bleiben Millionenkosten hängen.

Hannover (dpa/lni) - Selbst als Sozialministerin Carola Reimann (SPD)
die Auflösung der umstrittenen Pflegekammer Niedersachsen verkündet,
wirkt sie nicht wie eine Macherin, sondern eher wie eine
Zwangsvollstreckerin. Weil sich bei einer schwach genutzten
Online-Befragung zur Zukunft der Kammer 70,6 Prozent der
teilnehmenden Pflegekräfte gegen den Fortbestand und nur 22,6 Prozent
dafür aussprachen, werde die Kammer abgeschafft, teilte Reimann am
Montag in Hannover mit.

Mitten in der Corona-Krise wird der Interessenvertretung damit der
Stecker gezogen. Die Opposition lastete das Scheitern Reimann an und
FDP und AfD wiederholten Rücktrittsforderungen - am Ende ist das
Kammer-Debakel aber auch das erste geplatzte Großprojekt, das auf das
Konto der großen Koalition geht. Klaren Rückhalt für die Pflegekammer

gab es im Parlament zuletzt nur noch von der SPD und den Grünen, die
die Vertretung während der rot-grünen Vorgängerregierung ins Leben
gerufen hatten. CDU und FDP passte die Kammer von Anfang an nicht.

«Das Ergebnis ist eindeutig», sagte Reimann. «Wir werden diesen
deutlichen Zahlen nun unverzüglich die Auflösung der Pflegekammer
folgen lassen.» Ein entsprechendes Gesetz werde vorbereitet, wohl
nicht mehr bis Jahresende, aber möglichst schnell solle die Kammer
abgeschafft werden. Bitter sei dies für die 34 Beschäftigten der
Kammer, einige könnten sicher in den Landesdienst übernommen werden.
Das Land wird das Gerangel um die Kammer samt Abwicklung mehr als
12,4 Millionen Euro kosten. Die Rechtsnachfolge tritt das Land an,
dass nun wieder das Thema Weiterbildung von der Kammer übernimmt.

Rund 78 000 Pflegekräfte waren aufgerufen, sich zur Arbeit und
Zukunft der Kammer zu äußern. 15 100 davon nahmen an der Befragung
teil. Reimann sagte, sie hätte sich eine höhere Beteiligung
gewünscht. Das Ministerium hatte zuvor aber klar gestellt, dass das
Votum der Pflegekräfte unabhängig von der Beteiligung bindend ist.
«Ich wünsche mir, dass die Pflegekräfte weiter zu Wort kommen und
sich Gehör verschaffen», sagte Reimann. Verstärkt seien die
Gewerkschaften nun gefragt.

Die Pflegekammer selber wehrte sich gegen die geplante Auflösung.
Angesichts einer Beteiligung von weniger als 20 Prozent könne die
Umfrage nicht zur Bewertung der Arbeit der Kammer herhalten, sagte
Kammerpräsidentin Nadya Klarmann. «Dies ist rechtlich mehr als
fragwürdig.» Die begonnene Arbeit der Pflegekammer müsse im Interesse

der Pflegekräfte weiter ausgebaut werden. Die Pflegekräfte brauchten
eine starke Stimme, die ihre mehr als berechtigten Interessen
vertrete. Wie es aus der Kammer hieß, werden nun neben rechtlichen
Schritten auch Möglichkeiten geprüft, wie die Interessenvertretung in
einem anderen Rahmen fortgeführt werden kann.

Die CDU habe immer vor einer Kammer mit Zwangsmitgliedschaft gewarnt,
sagte der Landtagsabgeordnete Volker Meyer. Den Pflegenden stehe es
frei, sich eine freiwillige Vertretung zu schaffen. «Dies werden wir
politisch gerne begleiten.» Die Grünen-Abgeordnete Meta Janssen-Kucz
sprach von einem kompletten Versagen der Landesregierung.
Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Ministerin Reimann hätten
nicht ernsthaft die volle Verantwortung für eine gute Pflege in
Niedersachsen und für die Pflegekammer als starke
Interessensvertretung übernommen.

Die Kammer als Interessenvertretung der Pflegebeschäftigten war 2017
ins Leben gerufen worden und hatte 2018 die Arbeit aufgenommen. Ärger
gab es, weil alle Pflegekräfte auch gegen ihren Willen
Pflichtmitglieder in der Kammer werden und einen Mitgliedsbeitrag
zahlen sollten. Ende vergangenen Jahres entschied das Land dann, die
Kosten zu tragen, damit keine Beiträge mehr von den Beschäftigten
erhoben werden müssen. Dadurch sahen sich Teile der Kammer wiederum
in einer unerwünschten Abhängigkeit von der Landespolitik.

Sozialministerin Reimann war im Landtag häufiger ein mangelnder
Einsatz für die Pflegekammer vorgeworfen worden, eher als Zuschauerin
denn als Lenkende habe sie die Geschicke der Kammer verfolgt, hieß
es. «Als ich nach Niedersachsen kam, habe ich Art und Umfang der
Debatte unterschätzt», räumte Reimann am Montag bei der Frage nach
eigenen Versäumnissen ein. Sie gestand aber auch: «Ich war keine
große Verfechterin der Kammeridee.»

Im Zuge der Abwicklung der Kammer sollen nun auch die 2018 und 2019
geleisteten Mitgliedsbeiträge zurückgezahlt werden. «Dies soll so
schnell wie möglich passieren», teilte Reimann mit.