Berliner Ärzte holen Nawalny aus dem Koma

Sein Zustand verbessert sich und er ist wieder ansprechbar: Berliner
Ärzte haben den Kremlkritiker Alexej Nawalny aus dem künstlichen Koma
geholt. Sein Fall hat inzwischen hohe Wellen geschlagen.

Berlin (dpa) - Dem in der Berliner Charité behandelten russischen
Kremlkritiker Alexej Nawalny geht es besser. Ärzte haben das
künstliche Koma beendet. Das teilte die Charité am Montag in Berlin
mit. Der 44-Jährige werde nun schrittweise von der maschinellen
Beatmung entwöhnt und reagiere auf Ansprache. Langzeitfolgen der
schweren Vergiftung sind weiterhin nicht auszuschließen. Der Fall
Nawalny hat inzwischen auch eine Diskussion über einen Stopp des
Projekts Pipeline Nord Stream 2 ausgelöst.

Nawalny war am 20. August auf einem Flug in Russland ins Koma
gefallen und später auf Drängen seiner Familie in die Berliner
Charité verlegt worden. Die Bundesregierung hatte nach Untersuchungen
eines Spezial-Labors der Bundeswehr mitgeteilt, dass sie es als
zweifelsfrei erwiesen ansehe, dass Nawalny mit dem militärischen
Nervengift Nowitschok vergiftet worden sei.

Russland bestreitet, in den Fall des Oppositionellen verwickelt zu
sein. Kremlsprecher Dmitri Peskow sprach am Montag erneut von
«absurden Versuchen», die russische Staatsführung damit in Verbindung

zu bringen. Nawalny hat in seiner Heimat unter anderem verschiedene
Korruptionsskandale aufgedeckt.

In Berlin informierten am Montag die Nachrichtendienste das geheim
tagende Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages über ihre
Erkenntnisse. «Ich habe jetzt verstanden, warum die Bundeskanzlerin
so klar Stellung bezogen hat», sagte FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae
anschließend. «Für mich ist nach dieser Sitzung klar: Das Gift muss
von staatlichen russischen Stellen kommen.»

Die deutschen Behörden hätten sehr genaue Erkenntnisse zu dem Stoff,
mit dem Nawalny vergiftet wurde, sagte der CDU-Innenpolitiker Patrick
Sensburg. «Die westlichen Dienste haben natürlich Nowitschok-Proben,
um die unterschiedlichen Formen aus dieser Gruppe nachweisen zu
können.» Diese Proben habe man sich durch «nachrichtendienstliche
Erkenntnisse» beschaffen können, sagte er der «Welt» - «das hat d
ie
Russen sehr geärgert.» Spuren dieser Proben könnten zum Nachweis der

Substanz im Labor der Bundeswehr genutzt werden: «Man kann ja
teilweise sogar nachweisen, aus welcher Produktion diese Art von
Nowitschok dann jeweils kommt.»

Die russische Generalstaatsanwaltschaft hatte ein Rechtshilfegesuch
in Deutschland gestellt. Der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD)
hatte in der ARD gesagt, die deutsche Seite werde dem zustimmen.
Peskow zufolge sieht Moskau auch keinen Grund dafür, weshalb Berlin
nicht in dem Fall kooperieren sollte.

Der Kreml rechnet damit, dass Deutschland bald Informationen über die
Vergiftung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny übermittelt.
Angesichts der Wellen, die das Thema schlage, erwarte Moskau in den
nächsten Tagen Details zu dem Fall, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow
am Montag der Staatsagentur Ria Nowosti zufolge. «Wir sind
zufriedengestellt.» International wächst der Druck auf Russland, die
Vergiftung des Kremlkritikers zu untersuchen. Bislang laufen
«Vorermittlungen».

Der Fall Nawalny hat laut dem «Deutschen Ärzteblatt» auch die
Bundesärztekammer erreicht. In einem Schreiben der russischen
nationalen Ärztekammer an die Bundesärztekammer (BÄK) werde die
Einrichtung einer gemeinsamen Kommission vorschlagen. Möglich sei
auch die Beteiligung von Toxikologen aus anderen Ländern, um eine
«unparteiische endgültige Entscheidung» darüber zu treffen, ob
Nawalny vergiftet worden sei oder nicht.

Unterdessen wird auch diskutiert, ob man das Nord-Stream-2-Projekt
als Reaktion auf die Vergiftung Nawalnys stoppen oder aussetzen
sollte. Die Pipeline wird durch die Ostsee gebaut und soll Erdgas von
Russland nach Deutschland transportieren.

Die Bundesregierung lässt die Zukunft des Projekts weiter offen und
erhöht den Druck auf Russland. Noch sei es zwar zu früh, zu
entscheiden, ob der Fall Konsequenzen für den Bau der Ostseepipeline
haben werde, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) halte es aber auch für falsch, etwas
auszuschließen.

Sie schließe sich vielmehr den warnenden Worten von Außenminister
Heiko Maas (SPD) vom Wochenende an. Maas hatte in einem Interview
gesagt: «Ich hoffe nicht, dass die Russen uns zwingen, unsere Haltung
zu Nord Stream 2 zu ändern.» Er halte es für falsch, Auswirkungen auf

die Pipeline von vornherein auszuschließen.

Bislang hat die Bundesregierung Russland zwar mit harten Worten zur
Aufklärung aufgefordert, eine Verknüpfung mit dem
europäisch-russischen Gasprojekt aber vermieden. Seibert betonte, es
gebe die klare Erwartung, dass Russland schwerwiegende Fragen zum
Fall Nawalny beantworte. Damit sei jedoch nicht innerhalb weniger
Tage zu rechnen.

Der Kreml rechnet derzeit nicht mit einem Baustopp für die
Ostsee-Gasleitung. Auf die Frage, ob er Risiken sehe, dass der Bau
nicht beendet werde, antwortete Kremlsprecher Dmitri Peskow in
Moskau: «Nein.» Moskau hatte in der Vergangenheit stets betont, dass
die Gasfernleitung von Russland nach Deutschland ein wirtschaftliches
Projekt sei und kein politisches. Die Arbeiten an der Pipeline waren
zuletzt auf den letzten Metern wegen US-Sanktionen eingestellt
worden.