Corona-Effekt: Lieferengpässe für Medikamente möglich Von Yuriko Wahl-Immel, dpa

Der Kampf gegen die Corona-Pandemie hält an. Die Ausbreitung des
Erregers könnte auch zum Risiko für die Lieferung zahlreicher
wichtiger Medikamente und Impfstoffe werden. Ärzte, Apotheker und
Hersteller erklären, wie gegensteuert wird.

Bonn (dpa) - Verunsicherte Patienten, die in der Apotheke ihr
Medikament nicht erhalten. Besorgte Ärzte, die von bestimmten
Impfstoffen zu wenig zur Verfügung haben: Die Corona-Pandemie wirkt
sich auch auf die Gesundheitsversorgung aus. Sie habe Lieferengpässe
für einige - auch wichtige - Arzneimittel und Impfstoffe verschärft,
beobachten manche Experten. So sagte Ärztepräsident Klaus Reinhardt,
das Problem habe durch die Pandemie mit ihren Handelsbeschränkungen
«extrem zugenommen». Die Herstellung von Arzneimitteln und
Wirkstoffen ist spezialisiert und globalisiert, aus Kostengründen
wird immer mehr etwa in China oder Indien produziert - das erweist
sich nun als Problem.

Im Frühjahr sei man in Sorge gewesen, dass zentrale Substanzen wie
Propofol für künstliche Beatmung oder das in der Intensivmedizin
nötige Adrenalin knapp werden, schilderte Reinhardt von der
Bundesärztekammer (BÄK) kürzlich im «Tagesspiegel». Und warnte:
 «Wenn
uns diese Mittel ausgehen, wäre das eine wirklich hochgefährliche
Situation.» Auch die Impfung gegen Pneumokokken, die Lungenentzündung
verursachen können, sei vorübergehend kaum möglich gewesen. «Die
Lieferengpässe bei Impfstoffen beunruhigen mich sehr.» Die Nachfrage
sei in der Pandemie stark gestiegen - und das wird auch für
Grippe-Impfungen im Herbst erwartet.

Vor allem zu Beginn des Lockdowns war ungewiss, wie sich
Lieferengpässe entwickeln würden, berichtet der Bundesverband der
Arzneimittel-Hersteller. Inzwischen habe sich die Versorgungslage in
Apotheken und Kliniken entspannt. «Dennoch besteht weiterhin die
Möglichkeit, dass es auch in Zukunft zu versorgungsrelevanten
Lieferengpässen von Arzneimitteln kommen kann»,
sagt BAH-Hauptgeschäftsführer Hubertus Cranz der Deutschen
Presse-Agentur.

Grundsätzlich sind Lieferprobleme wahrscheinlicher, wenn nur wenige
Anbieter ein bestimmtes Arzneimittel herstellen und vertreiben. Vom
Corona-Lockdown waren kurzfristig auch Hersteller in Norditalien und
Spanien betroffen, zudem waren die Importe von Wirkstoffen aus Indien
und China eingeschränkt. Planung, Herstellung und Auslieferung
brauchen im Schnitt rund sechs Monate, erklärt Cranz. «Die Produktion

von Arzneimitteln kann nicht einfach und quasi auf Zuruf umgestellt
werden.» Fällt ein Hersteller aus, ist das nicht fix zu kompensieren.

«Wenn wir für einen wichtigen Wirkstoff nur einen Produzenten haben
und der sitzt irgendwo, wo es zum Lockdown kommt, kann das
schwerwiegende Folgen auch für die Versorgung hier in Deutschland
haben», erläutert Martin Schulz von der ABDA - Bundesvereinigung
Deutscher Apothekerverbände. Ein Lieferengpass bedeute aber
keineswegs immer, dass man Patienten nicht mehr versorgen könne. «Zum
Problem wird es, wenn etwa bei manchen Krebsindikationen ein
bestimmtes Mittel nicht bereitsteht, dann kann sich die Prognose des
Patienten durch verzögerte Behandlung verschlechtern», nennt der
Experte ein Beispiel.

Laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
liegen aktuell 317 Lieferengpassmeldungen vor (Stand 30.8.). Sie
betreffen 138 Wirkstoffe, 87 von ihnen sind versorgungsrelevant, wie
ein Sprecher mitteilt. Schulz zufolge werden immer weniger
versorgungskritische Arzneimittel in der EU produziert. So spiele
sich die Antibiotika-Herstellung seit einigen Jahren zu gut 90
Prozent in Ostasien ab.

In einem neuen Gremium sollen nun auch Wirkstoffe bestimmt werden,
bei denen die Industrie auch zu einer erhöhten Lagerhaltung
verpflichtet werden kann, berichtet Schulz, der für die ABDA in dem
neuen Beirat vertreten ist. Das gelte vor allem für Mittel, für die
es kaum Alternativen gebe und die in der Intensiv- und Notfallmedizin
gebraucht würden. Es gehe auch darum, zumindest die Hersteller, die
noch in Europa sind, möglichst zu halten.

Auch für Impfstoffe birgt die Konzentration auf wenige Produzenten
Risiken. Beim Paul-Ehrlich-Institut (PEI) heißt es: «Bleibt die
Anzahl der Impfstoffhersteller weiterhin begrenzt und greifen diese
bei einzelnen Impfkomponenten auf wenige Lieferanten zurück, ist zu
vermuten, dass weiterhin immer wieder Lieferengpässe auftreten
werden.» Die gute Nachricht: Bei den Grippe-Impfstoffen sollen für
die Saison 2020/21 größere Mengen bereitstehen als in den Vorjahren -
und laut PEI-Prognose wird das auch bei größerem Andrang ausreichen.

Um trotz Lieferengpässen ein Problem bei der Versorgung zu
verhindern, kann man knappe Mittel kontingentieren - also in
begrenzten Mengen abgeben. Wie beim fiebersenkenden Schmerzmittel
Paracetamol, wo es vorübergehend - ähnlich wie beim Klopapier - eng
wurde, weil sich manche übermäßig eindeckten. In manchen Fällen
könnten Ärzte ihre Patienten auch mit einem alternativen Medikament
behandeln, sagt Schulz. «Aber das kann auch mit neuen beziehungsweise
anderen Risiken verbunden sein, zu denen der Patient dann vom Arzt
oder Apotheker beraten werden muss.»