Druck Strengreligiöser in Israel: Nächtliche Sperren statt Lockdown

Tel Aviv (dpa) - In Israel sind nach massivem Druck ultraorthodoxer
Kreise geplante Corona-Beschränkungen in Ortschaften mit hohen
Infektionszahlen abgeschwächt worden. Statt eines Lockdowns rund um
die Uhr soll in 40 betroffenen Orten von 19.00 Uhr bis 5.00 Uhr
morgens (Ortszeit) eine Ausgangssperre herrschen. Der israelische
Regierungschef Benjamin Netanjahu verkündete allerdings am
Montagabend eine Verschiebung der Maßnahme um 24 Stunden. Sie soll
nun voraussichtlich am Dienstagabend in Kraft treten.

Nach israelischen Medienberichten wurden die Beschränkungen
abgeschwächt, nachdem die Bürgermeister vier strengreligiöser
Ortschaften Netanjahu einen wütenden Brief geschickt hatten. Darin
drohten sie ihm den Angaben zufolge damit, ihre Unterstützung zu
entziehen. Die strengreligiösen Parteien in Israels Parlament gelten
als enge Verbündete Netanjahus und sind bei Wahlen oft Zünglein an
der Waage.

Die Zahl der Corona-Toten in Israel hatte nach Angaben des
Gesundheitsministeriums vom Sonntag die Marke von 1000 überschritten.
Am Montag teilte das Ministerium mit, am Vortag seien 2157 neue Fälle
registriert worden. Der Erreger Sars-CoV-2 ist seit Beginn der
Pandemie bei 131 641 Menschen in Israel nachgewiesen worden. Das Land
hat rund neun Millionen Einwohner.

In vielen der als «rot» eingestuften Orte mit hohen Fallzahlen leben
vornehmlich ultraorthodoxe Juden oder arabische Israelis. Es sind oft
Familien mit vielen Kindern, die sich häufig auf engem Raum in
kleinen Wohnungen aufhalten. Daher ist es in den Gegenden besonders
schwer, Abstand zu halten oder sich zu isolieren.

Außerdem hatte Chaim Kanievsky, ein sehr einflussreicher Rabbiner
innerhalb der strengreligiösen Gemeinschaft, jüdische
Religionsstudenten vergangene Woche dazu aufgerufen, sich nicht auf
das Coronavirus testen zu lassen. Als Grund sagte er, eine
Corona-Quarantäne gefährde die Bibelstudien. Auch in arabischen
Ortschaften gab es viele Verstöße gegen Corona-Regeln, es wurden dort
etwa große Hochzeiten abgehalten.

Die Pandemie war in Israel auch wegen eines strikten Kurses der
Regierung zunächst glimpflich verlaufen. Nach raschen Lockerungen im
Mai schnellten die Fallzahlen jedoch in die Höhe.