Musterschüler New York blickt in Corona-Krise mit Sorge gen Herbst Von Christina Horsten, dpa

Mit dem Labor Day startet New York normalerweise in die emsige
Herbst-Betriebsamkeit. Diesmal aber ist coronabedingt alles anders,
die Wunden frisch, die Sorgen groß - und heftig wird diskutiert: Ist
die Zeit der Metropole vorbei, oder kann sie zurückkommen?

New York (dpa) - Der Sommer ist in New York klar von zwei Feiertagen
definiert. Er startet - auch wenn Meteorologen das anders sehen -
jedes Jahr am Memorial Day, dem letzten Montag im Mai, und endet am
Montag (7. September) mit dem Labor Day, dem ersten Montag im
September. Danach zieht die Millionenmetropole normalerweise mit
Volldampf in die emsige Betriebsamkeit des Herbstes: Die Menschen
kommen aus dem Urlaub oder ihren Ferienhäusern im Umland zurück, das
neue Schuljahr startet und hochkarätige Veranstaltungen wie die
Fashion Week, Film Festivals oder die UN-Vollversammlung stehen an.

In diesem Jahr aber hat die Corona-Pandemie die Millionenmetropole
fest im Griff - und fast alles ist anders. Die großen
Kultureinrichtungen wie die Metropolitan Oper oder die Theater des
Broadway haben bereits alle regulären Auftritte bis Ende des Jahres
abgesagt. Festivals, Fashion Week und die UN-Vollversammlung sind
größtenteils ins Internet verschoben worden.

Fitnessstudios, kleinere Kulturanbieter wie Comedy-Clubs und auch
Restaurants, Bars und Cafés, die derzeit nur Außenbereiche öffnen
dürfen, hoffen auf noch viele warme Wochen, um weiter zumindest ein
bisschen Umsatz machen zu können - und blicken mit großer Sorge
Richtung Herbst. Fast 3000 kleine Geschäfte und Lokale haben
Berichten zufolge seit Beginn der Pandemie schon geschlossen,
Schilder mit der Aufschrift «Ladenlokal zu vermieten» sind auf so gut

wie allen Straßen zu sehen, und viele New Yorker fragen sich besorgt,
welcher Einrichtung wohl als nächstes die Puste ausgehen wird.

Fast 60 Millionen Touristen besuchten New York 2019. Die Zahl sank in
diesem Jahr so stark, dass sogar die Tourismusbehörde einen Großteil
ihrer Mitarbeiter freistellen musste. Auch viele Einwohner wollen
entweder noch länger in ihren Ferienhäusern bleiben oder sind ganz
weggezogen. «Die Menschen verlassen die Stadt in sehr hoher Zahl»,
sagt die Direktorin einer Schule auf der Upper West Side Manhattans,
während sie per Videoschalte Eltern über das bevorstehende Schuljahr
informiert. Fast 20 Prozent der Kinder an ihrer Schule seien bereits
abgemeldet worden, auch mehrere Lehrer seien aus der Stadt
weggegangen.

Mit mehr als einer Million Kindern und Jugendlichen ist das
öffentliche Schulsystem New Yorks das größte der USA. Seit März war

Online-Lernen angesagt, nun aber soll - anders als in anderen
Großräumen wie beispielsweise Los Angeles oder San Francisco -
zumindest teilweise wieder Präsenzunterricht angeboten werden. Weil
die Gewerkschaft der Lehrer Gesundheitsbedenken hatte, musste der
Schulstart gerade erst um mehrere Tage nach hinten verschoben werden.

Mehr als ein Drittel der Eltern wollen ihre Kinder trotzdem für
reinen Online-Unterricht zu Hause lassen. Andere Eltern befürchten,
dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis der ganze Schulbezirk wieder
auf Online-Lernen umstellt. «Ich habe meinen Sohn für
Präsenzunterricht angemeldet, aber nur damit er zumindest mit ein
bisschen neuer Normalität in das Jahr starten kann», sagt eine
Mutter.

Dabei ist New York in der Pandemie eigentlich inzwischen ein
Musterschüler: Noch im Frühjahr war die Millionenmetropole das
Epizentrum in den USA, teilweise starben in der Stadt mit rund acht
Millionen Einwohnern mehr als 500 Menschen pro Tag. Nun aber hat sich
das Infektionsgeschehen auf niedrigem Niveau stabilisiert. Im ganzen
Bundesstaat New York kommt von Zehntausenden Tests täglich meist
weniger als ein Prozent positiv zurück. Trotzdem: Der Schock des
Frühjahrs, als die Sirenen durch die leeren Straßen dröhnten und
die Krankenhäuser Kühlwagen für Leichen anmieteten, sitzt tief. Und

weil im Rest des Landes und an vielen anderen Orten der Welt die
Zahlen höher sind, ist die Sorge vor einer weiteren Welle groß.

Die Stadt hat sich verändert. Die Arbeitslosenquote ist sprunghaft in
die Höhe gestiegen, genau wie die Nachfrage in Suppenküchen. Die Zahl
der Schießereien hat im Vergleich zu den Vorjahren deutlich
zugenommen, ist allerdings auch noch weit vom Niveau der 80er und
90er Jahre entfernt, als die Straßen der Metropole weithin als
gefährlich galten. Das Graffiti ist auch aufgrund der anhaltenden
Proteste gegen Rassismus und Polizeibrutalität vielerorts
zurückgekehrt in seine Geburtsstadt, die in den vergangenen Jahren
deutlich sauberer geworden war - für einige Kritiker gar zu sauber.

Längst ist die Diskussion entbrannt: Ist die Zeit von New York
vorbei, ist New York «für immer tot», wie der Unternehmer James
Altucher in einem viel beachteten Online-Artikel behauptete? Wenn -
wie jetzt - die Chancen für Unternehmer, die Kultur und die
Restaurants immer weiter wegfielen, dann könne sich die Stadt davon
nicht mehr erholen, argumentiert Altucher. Gegenwind bekam er schnell
von einem der prominentesten New Yorker überhaupt: Jerry Seinfeld.
«Wir werden weitermachen mit New York City», schrieb der Comedian in
der «New York Times». «Und es wird todsicher zurückkommen.»