Lesen, radeln oder gammeln: Für Erholung gibt es kein Patentrezept Von Corinna Schwanhold, dpa

Der Sommerurlaub steht vor der Tür und angesichts der vergangenen
Monate mit Corona-Pandemie haben viele Arbeitnehmer Erholung in
diesem Jahr besonders verdient. Aber wie erholt man sich am besten?

Berlin (dpa) - Kontaktbeschränkungen, Homeoffice, womöglich mit
kleinen Kindern wochenlang daheim - die Corona-Pandemie hat den
Alltag gehörig umgekrempelt und vielen Arbeitnehmern in diesem Jahr
große Kraftanstrengungen abverlangt. Nun steht für viele endlich
Urlaub an. Und dann das: Statt im Meer zu schwimmen oder Cocktails am
Strand zu schlürfen, kratzt der Hals, die Stirn wird warm. «Dass
Arbeitnehmer im Urlaub krank werden, ist ein weit verbreitetes
Phänomen», sagt die Arbeitspsychologin Anja Gerlmaier von der
Universität Duisburg-Essen.

Ein Zufall sei Krankheit in den Ferien meist nicht, sondern habe
körperliche Ursachen: In der Arbeitszeit stehen viele Arbeitnehmer
unter Strom, ihr Adrenalinspiegel ist erhöht. Oft schlägt das Herz
schneller, Stresshormone wie Kortisol aktivieren den Körper. Nach
stressreichen Arbeitsphasen sinke der Adrenalinspiegel im Urlaub und
sorge dafür, dass das Immunsystem schwächer werde, sagt Gerlmaier.
«Jede Bakterie springt einen förmlich an.» Anders gesagt: Der Körpe
r
kann mit dem plötzlichen Wechsel von Stress zu vermeintlicher
Erholung nicht umgehen.

Dabei brauche der Mensch regelmäßig Phasen der Regeneration, in denen
er sich anderen Aktivitäten zuwende und die Aktivierung des Körpers
heruntergefahren werde, sagt der Arbeits- und Organisationspsychologe
Oliver Weigelt von der Universität Rostock. «Dies muss nicht immer
bedeuten, auf dem Sofa zu liegen, sondern kann auch in Hobbys liegen,
die einen körperlich oder mental herausfordern.»

Wie man sich am besten erholt, dafür gibt es laut Gerlmaier kein
Patentrezept. «Das hängt ganz davon ab, welcher Tätigkeit man
nachgeht und ob man eher geistig oder körperlich beansprucht ist.»
Oft helfe es, das Gegenteil von dem zu machen, was man im Alltag
gewöhnt sei. Wer den ganzen Tag an einer Maschine stehe und abends zu
müde zum Lesen sei, entspanne sich womöglich mit einem guten Buch.
Wer hingegen am Schreibtisch arbeite und ständig geistig beansprucht
sei, solle erst einmal den Adrenalinspiegel senken, etwa indem man
sich erst einmal körperlich beansprucht und zum Beispiel eine
Fahrradtour macht.

Doch wie lang muss ein Urlaub sein, damit man Erholung findet? Laut
Studien sind elf Tage perfekt, um Tiefenentspannung zu erreichen.
Alle weiteren Tage seien für die meisten Arbeitnehmer zwar nett, aber
nicht unbedingt notwendig, meint Gerlmaier. Bei starken
Erschöpfungssymptomen, die sich etwa durch extreme Müdigkeit und
mangelnde Konzentrationsfähigkeit bemerkbar machen, müssten es aber
teilweise auch mehr sein.

Allerdings können offenbar auch Kurzurlaube etwa über ein
verlängertes Wochenende eine positive Wirkung auf das Stressempfinden
haben. Das zeigt eine österreichische Studie, an der Manager aus
mittleren Führungspositionen teilgenommen haben. Das Wohlbefinden und
Belastungsgefühl der Probanden waren nach einer viertägigen Pause
deutlich besser, die Wirkung hielt bis zu 45 Tage an. Ein möglicher
Grund: Wer nur kurz fehlt, muss keine Angst vor großen Arbeitsbergen
bei seiner Rückkehr haben.

Urlaub funktioniert aber anscheinend nicht für alle Arbeitnehmer.
Laut einer Studie, die im «Journal of Occupational Health Psychology»
veröffentlicht wurde, verzichten Menschen auf Urlaubstage, weil sie
fürchten, sich nicht von der Arbeit lösen zu können oder keine
Entspannung erwarten. Ein weiterer Faktor beim Verzicht auf Urlaub
ist die Erwartung von negativen finanziellen Auswirkungen durch
Ferien.

Das Bundesurlaubsgesetz ist bei der Trennung von Arbeit und Freizeit
deutlich: «Während des Urlaubs darf der Arbeitnehmer keine dem
Urlaubszweck widersprechende Erwerbstätigkeit leisten», heißt es in
Paragraf acht. Dennoch nimmt der Anteil der Menschen, die im Urlaub
für ihren Chef erreichbar sind, zu: Laut einer repräsentativen
Umfrage im Auftrag des Digitalverbands Bitkom waren 70 Prozent
derjenigen, die im Sommer 2019 verreisten, während dieser Zeit
dienstlich erreichbar. 2018 lag der Anteil noch bei 64 Prozent.

Und wie schafft man es, das Urlaubsgefühl nachhaltig in den Alltag zu
tragen? Anja Gerlmaier empfiehlt, sich die Reise an den ersten
Arbeitstagen ins Gedächtnis zu rufen. «Man kann zum Beispiel lokale
Spezialitäten wie einen schönen Rotwein oder Gebäck vom Urlaubsort
mitbringen und diese in den ersten Tagen etwa mit dem Partner oder
den Freunden genießen.» Dann erinnere man sich an die schönen
gemeinsamen Tage und fühle sich ein wenig dahin zurückversetzt.