) Künstler stehen in Krise mit Rücken zur Wand - «Blick in den Abgrund » Von Christian Schultz, dpa

Ob Sänger, Schauspieler oder Betreiber eines Kulturclubs - sie alle
leiden heftig unter der Corona-Pandemie. Einnahmen brechen weg,
Engagements werden abgesagt, staatliche Hilfen fließen oft an ihnen
vorbei. Auf dieses Dilemma macht auch eine Demo in Mainz aufmerksam.

Mainz (dpa/lrs) - Der Hauptraum des Mainzer Kulturclubs «schon schön»

gleicht einem Lagerraum. Seit Monaten herrscht unter einer Diskokugel
erzwungene Ruhe, kein DJ legt auf, keine Band spielt, keine Party
steigt. Inmitten gestapelter Barhocker und zusammengerückter Couches
sitzt Inhaber Nobert Schön und sagt: «Es gibt noch keinerlei
Perspektive.» Er hält einen Clubbetrieb so lange für nicht
wirtschaftlich machbar, wie die Abstandsregeln in der Corona-Krise
gelten. Ihm sind - wie vielen anderen Akteuren aus der Kulturszene in
Rheinland-Pfalz - unverschuldet und plötzlich in der Pandemie die
Einnahmen weggebrochen. Aufgeben will er aber nicht.

«Helft uns den Kulturclub «schon schön» zu retten!», heißt es
prominent auf der Homepage - darunter ein Video mit einem Hilferuf
von Norbert Schön. Der Club stehe mit dem Rücken zur Wand, erzählt er

da. Der Club habe nie auf Fördergelder gesetzt und brauche nun
Spenden. Darum zu bitten, falle ihm schwer. Schön schließt seinen
Aufruf mit den Worten: «Allles liebe, bis bald.»

Mehrere Woche sind seitdem vergangen. Inzwischen sind auf
verschiedenen Wegen 20 000 Euro zusammengekommen, erzählt der
Inhaber. Das Ziel seien 50 000 Euro. «Wir können jeden Euro
brauchen», sagt er. Corona-Soforthilfe des Landes habe das «schon
schön» nicht bekommen, weil es mit 42 Mitarbeitern über der Grenze
von 30 liege. Auch Stundungen etwa bei der Miete hälfen nur
vorübergehend, irgendwann stünden die Zahlungen an. Auch die
Mehrwertsteuer-Senkung sei bis Jahresende befristet. Wenn der Betrieb
erst danach wieder starte, gehe auch das am Club vorbei.

Etwas Geld spülen inzwischen zumindest wieder das benachbarte Café
«Blumen» und der Salon «3sein» in Schöns Kasse. So könne er die

Verluste minimieren, in die Gewinnzone komme er damit freilich nicht.
Ebenso oder noch düsterer sieht es für so manchen freiberuflichen
Künstler zwischen Westerwald und Pfalz aus. Freie Kultureinrichtungen
und freie Künstler aller Genres seien Mitte März in eine Art
Schockstarre gefallen, für einige sei es auch der «Blick in den
Abgrund», berichtet Margret Staal vom Vorstand der
Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultur Rheinland-Pfalz.

Musikclubs oder Einrichtungen ohne öffentliche Förderung stünden mehr

oder weniger vor dem Nichts, berichtet sie. Da freie
Kultureinrichtungen in der Regel nicht so große Räume hätten,
rechneten sich Veranstaltungen mit reduzierter Besucherzahl und
Abstandsgebot oft nicht, befindet auch Staal - «vom zusätzlichen
Aufwand ganz zu schweigen».

Und wenn die Förderung aufgrund der Löcher in öffentlichen Haushalten

in Folge der Pandemie künftig zusammengestrichen werde und das
Sponsoring einbreche, könne es noch schlimmer werden. «Das große
Erwachen wird vermutlich im Herbst oder kommendes Jahr kommen»,
befürchtet Staal - auch, weil Hilfsprogramme an Künstlern
größtenteils vorbeigingen. Diese hätten weniger Ausgaben für Mieten

oder Leasingraten für Autos, sie probten vielfach zuhause, nutzten
Privat-Pkw, bei fehlenden Einnahmen greife kein Kurzarbeitergeld.

Für das Fehlen eines wirklichen Schutzschirms für Soloselbstständige,

wie es viele Künstler sind, wurden bei einer Kundgebung am Dienstag
in Mainz symbolisch zerfetzte Regenschirme aufgestellt oder in die
Höhe gereckt. Künstler ganz verschiedener Richtungen - von Streich-
und Blechmusikern bis hin zum Kabarettisten - zeigten auf einer Bühne
unweit des Landtags ihr Können und forderten Unterstützung, damit der
Weg nicht in Hartz IV führe, wie auf Plakaten dargestellt wurde.

Der rheinland-pfälzische Kulturstaatssekretär Denis Alt (SPD) sagte:
«Die Corona-Pandemie war eine Vollbremsung für die Kulturszene.» Das

Land habe reagiert, etwa mit angepassten Förderbedingungen und 7,5
Millionen für Künstlerstipendien. Der Bund sei mit einem Programm von
einer Milliarde Euro gefolgt, um Kultureinrichtungen, Clubs und
Festivals zu helfen. «Wir brauchen hier passgenaue Hilfen.» Bei den
Soloselbstständigen müsse der Bund nun noch nachlegen.

Trüb schätzt auch Astrid Sacher die Situation ein. Sie ist ein
zentraler Kopf des Knirps Theaters in Bad Ems und Vorsitzende des
Landesverbandes professioneller freier Theater Rheinland-Pfalz. Sie
sagt: «Unsere Theater leben vom Spielen und nicht von irgendwelchen
Förderungen. Sie müssen spielen, um zu überleben.» Weil sie meist n
ur
kleine Probe- oder Aufführungsräume hätten, seien sie vermutlich die

letzten, die wieder loslegen dürften. Sie könnten es sich auch nicht
leisten, mögliche Rechtsrisiken bei Vorstellungen einzugehen.

Sacher sieht Verzweiflung und Existenzangst bei den insgesamt 38 in
dem Verband organisierten Theatern - und «ein großes Sterben». Das
werde nicht plötzlich kommen, sondern schleichend. Künstler müssten
sich vermutlich Nebenjobs suchen, um über die Runden zu kommen,
könnten dann aber immer weniger Zeit dem Theater widmen. Auffallen
werde das vor allem dort, wo sonst weniger Kultur stattfinde, sagt
Sacher. Denn die professionellen freien Theater gingen auch in kleine
Orte. Auftritte in Schulen und Kitas oder auch Gemeindesälen seien in
den kommenden Monaten kaum vorstellbar. «Es bräuchte dafür zum
Beispiel einen geradezu wagemutigen Schulleiter», sagt Sacher.

Der rheinland-pfälzische Ableger des Deutschen Tonkünstlerverbandes
beurteilt die Situation für viele Freischaffende ebenfalls als sehr
schwierig. Gerade habe jemand einen Fuß für ein Engagement in der Tür

gehabt, dann sei alles zusammengebrochen, ein Ende der Krise sei noch
nicht absehbar, sagt die erste Vorsitzende des Landesverbandes,
Carina Vogel. Freie Musiker sprängen oft kurzfristig ein, wenn
Orchester aufgestockt würden oder Krankheitsvertretungen bräuchten.
«Gerade passiert da aber gar nichts, weil nicht in großen Besetzungen
gespielt werden kann.»

Beim Gesangs- oder Instrumentenunterricht hätten viele Musiker auf
Online-Stunden umgestellt. Zahlreiche Eltern und Kinder hätten
mitgezogen, sagt Vogel. Doch teils mangele es an der dafür nötigen
technischen Infrastruktur, und ersetzen könne es den persönlichen
Unterricht ohnehin nicht gänzlich. Sie beklagt, dass Hilfen häufig
nicht bei Künstlern als letztes Glied in der Kette ankommen. Sie
würden nunmal nicht engagiert, selbst wenn ein Veranstalter
unterstützt werde. Viele Künstler bedrückten aber nicht nur
Einnahmeverluste, einige stellten sich auch die Frage, wie viel
Kultur wert sei und ob sie nicht ähnlich wie Autoindustrie oder
Lufthansa ebenfalls systemrelevant sei.

Trotz aller Widrigkeiten will Clubbetreiber Schön in Mainz weiter
kämpfen. Er glaubt an eine Zukunft, nicht umsonst renoviert er gerade
die Toiletten im «schon schön». Er habe in den vergangenen Wochen
viel Solidarität und Aufmunterung erfahren, sagt er. Das helfe,
weiterzumachen. «Es ist Balsam für die Seele.»