Tag der Wahrheit für Lufthansa - Ein Mann entscheidet Von Christian Ebner, dpa und Steffen Weyer, dpa-AFX

Wochenlang haben Bundesregierung, Lufthansa und EU an einem
Rettungsplan für die Fluggesellschaft gefeilt. Jetzt entscheidet ein
Mann, ob daraus was wird.

Frankfurt/Main (dpa) - Rettung durch den deutschen Staat oder harte
Sanierung in einer Insolvenz - vor dieser Entscheidung stehen die
Aktionäre der coronageplagten Lufthansa. An diesem Donnerstag (12.00
Uhr) stimmen sie auf einer außerordentlichen Hauptversammlung darüber
ab, ob dem Bund im Zuge der angepeilten Rettung ein Anteilspaket von
20 Prozent und weitere Bezugsrechte zugestanden werden.

Alle Blicke richten sich dabei auf den Selfmade-Milliardär Heinz
Hermann Thiele, der als größter Aktionär mit einem Anteil von 15,5
Prozent den Staatseinstieg alleine verhindern könnte. Grund ist die
geringe Beteiligung von weniger als 38 Prozent der Stimmrechte an der
im Internet stattfindenden Aktionärsversammlung, die Thiele an diesem
Schicksalstag eine Sperrminorität verschafft.

Am Abend vor der entscheidenden Abstimmung ließ der 79-Jährige aber
die Luft raus. Er werde dem Rettungspaket für die angeschlagene
Airline zustimmen, sagte er der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», in
der er bereits mit einem Interview die ganze Aufregung ausgelöst
hatte. Der erfolgreiche Unternehmensführer hatte den geplanten
starken Staatseinfluss ebenso kritisiert wie die seiner Meinung nach
kaum zu erfüllenden Bedingungen für einen Wiederausstieg. Seine
Entscheidung hatte Thiele auch nach einem Gespräch mit den
Bundesministern Scholz und Altmaier vom Montag offen gelassen. Nun
stimme er gegen die Insolvenz. «Es liegt im Interesse aller
Lufthansa-Mitarbeiter, dass das Management zügige Verhandlungen mit
den Gewerkschaften über die nötige Restrukturierung führen kann.»


Mit rund 300 Millionen Euro ist die Aktienbeteiligung eigentlich der
kleinste Part des 9 Milliarden Euro schweren Rettungspakets, aber für
die Alt-Aktionäre der einzige Hebel. Schließlich würden ihre Anteile

durch die neuen Aktien für den Bund verwässert. Sie sollen auch noch
zum Vorzugspreis von 2,56 Euro ausgegeben werden, rund ein Viertel
des aktuellen Börsenkurses. Ohne die Beteiligung wäre aber auch das
gesamte Rettungspaket samt stiller Einlage und KfW-Kredit gestorben.

Fondsgesellschaften wie DWS und Union Investment wollen daher für die
Kapitalmaßnahme stimmen, denn im Fall einer Pleite droht der
Totalverlust. Auch die Deka-Nachhaltigkeitsexpertin Vanessa Golz
erklärt: «Uns Aktionären bleibt nichts anders übrig, als der
Kapitalerhöhung für den Einstieg des Staates zähneknirschend
zuzustimmen. Ansonsten wäre der Kranich kein Vogel mehr.»

Obwohl Thieles Kritik am Staatseinstieg tagelang im Raum stand,
erwarten die Anleger offenbar, dass die Rettung gelingt. Der Kurs der
Lufthansa-Aktie, der in der Corona-Krise seit Mitte Februar zeitweise
um mehr als die Hälfte auf nur noch gut sieben Euro abgestürzt war,
pendelte zuletzt zwischen neun und zehn Euro. Damit war der vor
wenigen Tagen in den MDax abgestiegene Konzern an der Börse gerade
noch um die 4,5 Milliarden Euro wert - weniger als die Hälfte des
geplanten Hilfspakets und weniger als das, was der Staat an
Eigenkapital und Krediten zuschießen will.

In Branchenkreisen wurde spekuliert, dass Thiele den verborgenen Plan
verfolgen könnte, seinen Einfluss bei Lufthansa in einer Insolvenz
noch auszubauen. Allein oder mit Partnern könnte er nach einem von
ihm verhinderten Staatseinstieg einen Massekredit über mehrere
Milliarden Euro anbieten. Damit hätte Thiele entscheidenden Einfluss
auf das weitere Schicksal des Konzerns gewinnen können, meinte unter
anderen Analyst Mark Manduca von der Citigroup.

Der Konzern hat sich nach Worten von Vorstandschef Carsten Spohr auf
ein mögliches Scheitern des Rettungsplans vorbereitet. «Der Vorstand
wird, falls die Stabilisierungsmaßnahmen nicht umgesetzt werden
können, versuchen, ein sogenanntes Schutzschirmverfahren zu
beantragen», heißt es in der Einladung zur Hauptversammlung.
Unbedingt verhindert werden soll der abrupte Stopp des Flugbetriebs,
das «Grounding». Über notwendige Überbrückungskredite wollte Spoh
r
dann schnell erneut mit dem Staat sprechen.

Der Schutzschirm ist die mildeste Form einer Insolvenz nach deutschem
Recht und bereits beim Ferienflieger Condor erprobt. Er gäbe dem
weiter amtierenden Management freie Hand, sich kostspieliger Verträge
mit Lieferanten, Dienstleistern, Vermietern und auch mit dem eigenen
Personal zu entledigen. Auch die Passagiere müssten um die
Erstattungen für bereits bezahlte Tickets bangen. Der Konzern mit 138
000 Beschäftigten hat zudem nach eigener Einschätzung 22 000 Stellen
zu viel an Bord. Bislang soll das Problem noch einvernehmlich gelöst
werden, wobei sich die Verhandlungen über Sparbeiträge des Personals
hinziehen.

Die Arbeitnehmer fürchten bei einer Pleite einen Kahlschlag. Nicht
umsonst haben die Gewerkschaften nach eigenen Angaben allein für das
fliegende Personal in Deutschland Einsparungen im Wert von mehr als
einer Milliarde Euro angeboten, wenn es dafür Jobsicherheiten gibt.
Verdi-Vize Christine Behle warnte: «Eine Insolvenz würde die
Beschäftigtenstrukturen der Lufthansa zerstören und das öffentliche
Vertrauen in die Lufthansa nachhaltig beschädigen. Mit der
staatlichen Hilfe können Arbeitsplätze erhalten und Einkommen
gesichert werden».