NRW verhängt regionalen Lockdown - Wut im Kreis Gütersloh

Der Corona-Ausbruch beim Schlachtbetrieb Tönnies zieht weite Kreise.
Die NRW-Regierung verhängt einen regionalen Lockdown - für zunächst
eine Woche. Der Regierungschef kündigt Kontrollen und massive
Testungen an.

Gütersloh/Düsseldorf (dpa) - Der Corona-Ausbruch beim
Fleischverarbeiter Tönnies hat weitreichende Folgen: Kurz vor Beginn
der Sommerferien in Nordrhein-Westfalen schränken die NRW-Behörden
das öffentliche Leben im Kreis Gütersloh mit rund 370 000 Menschen
massiv ein. Erstmals in Deutschland werde ein gesamter Kreis wegen
des Corona-Infektionsgeschehens wieder auf die strengen
Pandemie-Schutzmaßnahmen zurückgeführt, die noch vor einigen Wochen
landesweit gegolten hätten. Das sagte NRW-Ministerpräsident Armin
Laschet (CDU) am Dienstag in Düsseldorf.

Im westfälischen Kreis Gütersloh handele es sich um das bisher
«größte Infektionsgeschehen» in NRW und auch deutschlandweit, beton
te
der Regierungschef. Die Maßnahmen sollen von diesem Mittwoch an
zunächst bis zum 30. Juni gelten - allen voran also auch wieder ein
Kontaktverbot. Im öffentlichen Raum dürfen sich die Bewohner eine
Woche lang nur noch mit Personen des eigenen Hausstands bewegen oder
zu zweit.

Zudem verbieten Behörden im Landkreis nach dem neuen Sicherheitspaket
Sport in geschlossenen Räumen sowie zahlreiche Kulturveranstaltungen.
Fitnessstudios werden Laschet zufolge im Kreisgebiet ebenso
geschlossen wie Kinos und Bars.

Der Lockdown bedeute zwar kein Ausreiseverbot, meinte Laschet mit
Blick auf geplante Urlaubsreisen. Seine Aussagen blieben aber in
diesem Punkt eher unscharf. Einerseits sagte der CDU-Politiker auf
eine Frage, ob Bewohner des Kreises Gütersloh in Ferien fahren
dürften: «Wer Urlaub plant, kann das natürlich machen.» Zugleich

«appellierte» er aber an die Bewohner, «jetzt nicht aus dem Kreis
heraus in andere Kreise zu fahren». Und ergänzte: «Das wird auch
kontrolliert werden.»

Auf der Urlaubsinsel Usedom waren am Montag 14 Reisende aus
Corona-Risiko-Gebieten angehalten worden, vorzeitig abzureisen. Sie
sollten sich bei ihrem heimischen Gesundheitsamt melden, sagte ein
Sprecher des Kreises Vorpommern-Greifswald der dpa. Auch ein Ehepaar
aus Gütersloh sei aufgefordert worden, die Insel vorzeitig zu
verlassen. Ob auch die anderen betroffenen Urlauber alle aus dem
Kreis Gütersloh kommen, war zunächst unklar. Laschet warnte davor,
die Menschen aus dem Kreis Gütersloh unter «Pauschalverdacht» zu
stellen. Man dürfe sie «nicht stigmatisieren».

Grund für den regionalen Lockdown ist der Corona-Massenausbruch beim
Fleischverarbeiter Tönnies. Man stufe das bisher eine «klar
lokalisierte Infektion» ein, unterstrich Laschet. Beim
Schlachtbetrieb des Marktführers im westfälischen Rheda-Wiedenbrück
hatten sich mehr 1550 Beschäftigte nachweislich mit dem Coronavirus
infiziert.

Man wolle aber bis zum 30. Juni mehr Klarheit haben, inwieweit sich
das Virus womöglich auch bei Nicht-Tönnies-Beschäftigten ausgebreitet

habe, erläuterte der Ministerpräsident. Bisher gebe es hier nur 24
nachgewiesene Infektionen. Es sei aber besondere Vorsicht geboten.
Die Behörden würden die Tests in der Bevölkerung massiv ausweiten.

Die SPD-Landtagsfraktion begrüßte das Herunterfahren des öffentlichen

Lebens im Landkreis. «Der Lockdown ist die einzig richtige
Entscheidung zum Schutz der Gesundheit der Menschen. Aber sie kommt
mal wieder zu spät», sagte Fraktionschef Thomas Kutschaty der
«Rheinischen Post» (Mittwochausgabe). Laschet habe noch am Sonntag
von einem Lockdown nichts wissen wollen und müsse sich jetzt mit
seinem «Schlingerkurs» selbst korrigieren.

Schwierig und zugleich von zentraler Bedeutung ist die Einhaltung der
Quarantäne: Rund 7000 Tönnies-Mitarbeiter wurden mitsamt ihren
Familien seit einigen Tagen in häusliche Isolation geschickt. Die
Landesregierung habe drei Einsatzhundertschaften der Polizei in den
Kreis Gütersloh geschickt, schilderte Laschet. Die Polizisten sollten
die Quarantäne der Tönnies-Mitarbeiter kontrollieren. Die Polizei
werde mobilen Testteams begleiten. Zur Not müssten die Behörden
Anordnungen auch mit Zwang durchsetzen. Es werde auch weitere
humanitäre Maßnahmen zur Unterstützung der Betroffenen geben.

Schulen und Kitas im Landkreis Gütersloh mit rund 370 000 Einwohnern
waren bereits am 17. Juni geschlossen worden. Für die größte deutsche

Fleischfabrik war zudem ein vorübergehender Produktionsstopp verhängt
worden. Auch für den Kreis Warendorf kündigte Laschet Maßnahmen an.
Diese sollten aber «nicht flächendeckend» sein, sondern für Orte
gelten, die an den Kreis Gütersloh grenzen. Gesundheitsminister
Karl-Josef Laumann (CDU) wollte am Nachmittag Details bekanntgeben.

Dem massiv unter Druck geratenen Branchenriesen Tönnies warf Laschet
mangelnde Kooperationsbereitschaft vor. Daher hätten die Behörden die
Herausgabe von Daten der Werkarbeiter durchsetzen müssen. «Da wurde
nicht mehr kooperiert, da wurde verfügt.»