Keine Zeit für Abenteuer: Schulabschluss in der Corona-Krise Von Josefine Kaukemüller, dpa

Bei Bayerns Abschlussschülern ist die Enttäuschung groß: Durch Corona

können sie den langersehnten Abschied von der Schule heuer nicht wie
sonst feiern. Auch viele Auslandsabenteuer müssen vorerst warten.

München (dpa/lby) - Das Auslandsjahr geplatzt, alle Partys und
Abschlussfahrten gestrichen: Die Vorfreude auf die Zeit nach ihren
Abschlussprüfungen in diesem Jahr ist für viele junge Menschen wegen
der Corona-Pandemie getrübt. Zehntausende Schulabsolventen im
Freistaat müssen nach einem Abschluss unter besonderen Bedingungen
zumindest vorerst auf langersehnte Highlights verzichten - und oft
auch ihre persönliche Planung völlig neu ausrichten.

«Es fühlt sich ein bisschen an, als hätte mir jemand was weggenommen,

was eigentlich meins war», sagt Pascale, Abiturientin aus
Fürstenfeldbruck bei München, enttäuscht. Ursprünglich wollte die
18-Jährige im Sommer für ein Jahr nach Missouri in den USA gehen, um
in einem Zirkus Kinder zu betreuen. Für das Projekt sei sie sofort
Feuer und Flamme gewesen, weil sie selbst seit Jahren im Schulzirkus
sei und die Arbeit mit Kindern liebe.

Als die Infektionszahlen stiegen und die Reisebeschränkungen in Kraft
traten, habe der Zirkus ihr aber direkt für das ganze Jahr abgesagt -
und somit ihre komplette Planung umgeworfen. «Ich hatte das
eigentlich nutzen wollen, um mich ein Jahr weiter orientieren zu
können, weil ich eben jetzt noch nicht so genau weiß, was ich
studieren möchte oder was ich für eine Ausbildung machen möchte.»

Grundsätzlich müsse nicht jeder nach dem Schulabschluss geplante
Auslandsaufenthalt abgesagt werden, sagt Maria Riedmaier,
Geschäftsführerin von «Active Abroad». Die Münchner Agentur
organisiert unter anderem Au-pair-Aufenthalte, Work and Travel und
Sprachkurse in über 30 Staaten. Wenn es keine zweite Infektionswelle
gebe, könnten unter den gelockerten Reisebestimmungen voraussichtlich
schon in wenigen Wochen Trips ins europäische Ausland angetreten
werden - etwa nach Spanien, Frankreich, England oder Irland.

Das gelte aber nicht für die USA und Kanada: Wann dort die Programme
wieder anlaufen könnten, sei noch unklar, sagt Riedmaier. Neuseeland
und Australien kämen für die Reiselustigen in diesem Jahr
wahrscheinlich gar nicht mehr infrage.

Allein rund 35 000 Gymnasiasten wollen laut Kultusministerium heuer
im Freistaat das Abitur machen, etwa 37 000 Schüler arbeiten auf
ihren Realschulabschluss hin. Den 18 Jahre alten Elias, einen
Mitschüler von Pascale, beeinflusst die Pandemie zwar nicht
unmittelbar in seiner Zukunftsplanung: Er will direkt studieren. Dass
Abistreich, Abipartys und auch die geplante Abschlussreise nach
Griechenland ausfallen müssen, setzt ihm aber zu: «Normalerweise hat
man das ja noch, dass man mit seinen Freunden feiern kann. Und jetzt
nach dem schriftlichen Abitur sehen wir uns eigentlich gar nicht
mehr.» Die schriftlichen Prüfungen sind abgelegt, in den nächsten
Wochen folgen noch die mündlichen. Das befreiende Gefühl trotzdem
nicht richtig auskosten zu können, sei frustrierend, sagt Elias.

«Es ist nachvollziehbar, dass die Abiturienten feiern wollen. Wir
sehen das aber wegen der weiter notwendigen Hygiene- und
Abstandsregelungen sehr zurückhaltend», sagt Kultusminister Michael
Piazolo (Freie Wähler) der Deutschen Presse-Agentur. Im Rahmen der
neuesten Corona-Lockerungen sind ab Montag (22. Juni) private Feiern
mit bis zu 50 Menschen in Innenräumen und bis zu 100 Personen im
Freien erlaubt - grundsätzlich also auch Schulabschlussfeiern.

Weil aber allein in ihrem Abijahrgang rund 130 Schüler seien, könne
eine Zeugnisübergabe auch unter diesen Auflagen für sie und ihre
Mitschüler nicht wie üblich ablaufen, sagt Pascale. «Wir werden auf
keinen Fall mit allen zusammen feiern können.» Es sei aber denkbar,
dass je ein Teil der Abiturienten mit den Familien zur Ehrung komme
oder dass ein Livestream für andere Angehörige eingerichtet werde.

Nach Wochen des Homeschoolings seit März wegen der landesweiten
Schulschließungen ist auch der 16 Jahre alte Oscar, der dieses Jahr
in Neubiberg (Landkreis München) seinen Realschulabschluss macht,
seit einiger Zeit wieder in der Schule. Die mündliche Prüfung hat er
schon hinter sich, Anfang Juli folgen die schriftlichen Prüfungen.

Auch Oscar muss auf viele, eigentlich später unvergessliche Events
verzichten: «Es wird keinen Abschlussball geben, es wird keine
normale Zeugnisübergabe geben. Was ich schade finde ist, dass man
nach fünf Jahren an der Schule nicht einmal seinen Lehrer umarmen
kann und sagen kann, danke, dass du mich da durchgetragen hast.» Weil
auch in seinem Abschlussjahrgang über 100 Schüler seien, müsse die
Zeugnisübergabe klassenweise stattfinden - dann aber immerhin mit den
Eltern. Trotzdem könne er nach seinem Abschluss wie geplant in seine
Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann starten, sagt Oscar.

Ein Trost für den 16-Jährigen: Die oft extra für den abgesagten
Abschlussball gekauften Sakkos und Kleider seien bei seinem
Abschlussjahrgang trotz allem zum Einsatz gekommen. «Es gab eine
Mottowoche, als wieder mehr Klassen in der Schule waren. Ein Motto
war «overdressed»: Und da haben die meisten dann angezogen, was sie
sonst für den Ball geplant hatten.»

Wollen die Schüler ihre Pläne nachholen, wenn die
Corona-Beschränkungen komplett aufgehoben sind? «Wir sind am
überlegen, ob wir eine Wiedersehensparty machen. Aber Abi ist halt
dieses Jahr und das Gefühl, dass man endlich fertig ist. Nicht in
fünf Monaten und auch nicht nächstes Jahr», sagt Elias. Auch Pascale

ist unsicher, ob sie das Zirkus-Projekt nächstes Jahr nachholt, weil
sie sich nun für eine Ergotherapie-Ausbildung ab Herbst entschieden
hat. «Ich kann ja jetzt auch nicht ein Jahr nichts machen.»

Zum Szenario eines möglichen Runs auf die Studienplätze, weil für
viele Abiturienten das sogenannte «Gap Year» im Ausland entfällt,
äußern sich die Universitäten abwartend. Zwar sei eine höhere Zahl

der Anmeldungen deutscher Studierender möglich, sagt etwa Oliver
Jahraus, Vizepräsident der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU)
München. Andererseits würden wegen Corona auch deutlich weniger
Studierende aus dem Ausland kommen können, so dass die Anmeldezahlen
letztlich voraussichtlich stabil bleiben dürften.

Trotz aller Enttäuschung wird Elias sein Abijahr auch wegen Corona in
ganz besonderer Erinnerung behalten, sagt er. «Dass wir zum Beispiel
eines Freitags aus der Schule kommen und dann einer sagt, wir haben
jetzt zwei Monate keine Schule mehr. An solche Sachen werde ich mich
eher erinnern als daran, dass keine Abiturfeier stattgefunden hat.»