Tönnies meldet hohe Zahl von Corona-Infizierten - Kreis reagiert Von Carsten Linnhoff, Oliver Auster und Florentine Dame, dpa

Schock im Kreis Gütersloh. Bei Deutschlands größtem Schlachtbetrieb
waren die Zahlen der Corona-Infizierten vor Wochen noch eher gering.
Jetzt gibt es eine Häufung. Der Landrat reagiert - und verordnet dem
Betrieb eine Pause.

Rheda-Wiedenbrück/Gütersloh (dpa/lnw) - Ein Corona-Ausbruch mit mehr
als 650 Neuinfizierten in einem Schlachtbetrieb trifft mit Tönnies
einen Branchenriesen. Deutschlands Marktführer bei der Schlachtung
von Schweinen muss seinen Hauptproduktionsbetrieb in
Rheda-Wiedenbrück herunterfahren. Der zuständige Landrat Sven-Georg
Adenauer geht davon aus, dass der Produktionsstopp zwischen 10 bis 14
Tagen dauert wird. «Wenn die Infektionszahlen runter gehen, kann es
auch schneller gehen», sagte der CDU-Politiker bei einer
Pressekonferenz am Mittwoch in Gütersloh.

Für den gesamten Kreis will Adenauer einen allgemeinen Lockdown
verhindern, obwohl die wichtige Marke von 50 Neuinfektionen pro
100 000 Einwohnern in sieben Tagen deutlich überschritten sei. «Wir
wissen, dass es mit Tönnies ein lokales Ereignis ist», sagte
Adenauer. Er appellierte aber an die Bevölkerung, sich in der
Öffentlichkeit mit Kontakten zurückzuhalten.

Tönnies-Sprecher André Vielstädte wandte sich im Name der Eigentüme
r
an die Öffentlichkeit: «Wir möchten uns bei der Bevölkerung des
Kreises im Namen der Familie Tönnies entschuldigen. Wir werden alles
dafür tun, das Virus aus dem Betrieb zu bekommen, um wieder
arbeitsfähig zu werden.»

Auch für die Region wird das sich rasant entwickelnde
Infektionsgeschehen in der Fleischfabrik in Rheda-Wiedenbrück
Auswirkungen haben: Der Kreis Gütersloh kündigte an, alle Schulen und

Kitas bis zu den Sommerferien wieder zu schließen. Durch diesen
Schritt solle eine Ausbreitung des Virus in der Bevölkerung vermieden
werden, sagte eine Sprecherin des Kreises. Landrat Adenauer sprach
von einer Vorsichtsmaßnahme. «Das kann doch echt nicht war sein», sei

seine erste Reaktion gewesen, als er von den neuen positiven Tests
bei Tönnies erfahren hatte.

Am Hauptstandort von Tönnies in Rheda-Wiedenbrück schlachtet das
Unternehmen nach eigener Angabe pro Tag 20 000 Schweine. Mit der
gesamten Unternehmensgruppe hat Tönnies nach eigenen Angaben einen
Marktanteil von 20 Prozent.

Corona-Ausbrüche in Schlachthöfen haben in den vergangenen Monaten
immer wieder Schlagzeilen gemacht und eine Debatte über die
Missstände bei Arbeits- und Unterbringungsbedingungen der häufig aus
Osteuropa stammenden Beschäftigen ausgelöst. Nordrhein-Westfalens
Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hatte im Mai eine
großangelegte Reihentestung der Mitarbeiter in der Fleischindustrie
angeordnet. Im Kreis Coesfeld war ein Betrieb zeitweise geschlossen
worden. Laumann kündigte am Mittwoch an, dass erneut landesweit alle
Schlachthofbelegschaften mit Werkvertragsarbeitern auf das Virus
getestet werden. Danach werde man wissen, ob es sich bei dem Ausbruch
um eine Ausnahme handelt oder nicht.

Clemens Tönnies, geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens,

hatte sich vor Wochen nach einem Virus-Ausbruch beim Konkurrenten
Westfleisch gegen den Generalverdacht gegen die Branche gewehrt.
Deutschlands Marktführer Tönnies war zunächst nur mit einzelnen
Infizierten aufgefallen. Nun drehte sich das Blatt: Über das
Wochenende vermeldete der Kreis Gütersloh einen ersten sprunghaften
Anstieg. Dienstagabend berichteten die Behörden dann von 128
Infizierten bei dem Unternehmen binnen sieben Tagen. «In unseren
Zerlegebetrieben herrschen sozusagen spätwinterliche Temperaturen. Es
mehren sich die Erkenntnisse, dass die dortigen mikroklimatischen
Bedingungen die Verbreitung besonders begünstigen können», hatte
Gereon Schulze Althoff, Leiter des Pandemiestabs bei Tönnies, am
Dienstagabend erklärt.

Am Tag darauf nannte Schulze Althoff die Kälte in der Produktion und
die vermehrten Heimreisen der Beschäftigten in den zurückliegenden
langen Wochenenden an Pfingsten und Fronleichnam nach Osteuropa als
mögliche Faktoren für die Ausbreitung des Coronavirus.

Schulen und Kindertagesstätten im Kreis Gütersloh sind geschockt über

die geplanten Schließungen nach einem Corona-Ausbruch. «Die Nachricht
kam eben zur Abholzeit, wir konnten es den Kindern gar nicht mehr
richtig erklären», sagte Marina Pielsticker, Leiterin einer
Kindertagesstätte in Borgholzhausen. «Mit einigen Eltern konnte ich
wenigstens noch über den Zaun hinweg sprechen.» Sie wisse noch nicht,
wie es die nächsten Tage weitergehe. «Endlich hatten wir mal wieder
Kinderlachen in den Räumen und nun ist alles wieder zu», so
Pielsticker. «Es ist hart, das den Kindern zu erklären.»

Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagte vor Journalisten auf die
Frage, was der Corona-Ausbruch bei Tönnies über die bisherigen
Lockerungen aussage: «Das sagt darüber überhaupt nichts aus, weil
Rumänen und Bulgaren da eingereist sind und da der Virus herkommt.
(...) Das hat nichts mit Lockerungen zu tun, sondern mit der
Unterbringung von Menschen in Unterkünften und Arbeitsbedingungen in
Betrieben.»