Wieder Corona-Ausbruch in Fleischfabrik - Virus trifft Ärmere Von Florentine Dame, Gisela Gross und Gregor Tholl, dpa

Das Coronavirus greift nach den allgemeinen Lockerungen noch einmal
um sich, etwa bei einem Schlachtereibetrieb der Firma Tönnies in
Westfalen und in einem Wohnblock in Berlin. Im Vergleich zu den
vergangenen Monaten gibt es nun aber Besonderheiten.

Rheda-Wiedenbrück/Berlin (dpa) - Erneut gibt es einen folgenreichen
Corona-Ausbruch in einer Fleischfabrik mit mindestens 400
Infizierten. Die Produktion in dem Schweinefleischbetrieb in
Westfalen wurde vorübergehend eingestellt, der Kreis Gütersloh
schließt Schulen und Kindertagesstätten und stellt gut 7000 Menschen
unter Quarantäne. In Neukölln in Berlin stieg währenddessen die Zahl

der Infizierten in den unter Quarantäne gestellten Wohnblöcken
weiter: Inzwischen seien 70 Fälle bekannt, sagte der
Bezirksbürgermeister mit Stand Dienstagabend. Sowohl in NRW als auch
in Berlin treffe es ärmere Familien, die beengt und abgeschottet
wohnten, stellte ein Berliner Gesundheitsamtsleiter eine Parallele
her.

Mit schon 400 Neuinfizierten seit Anfang der Woche nimmt der
Corona-Ausbruch beim Fleischfabrikanten Tönnies in Rheda-Wiedenbrück
größere Ausmaße an. Nach dem Ausbruch in Schlachthof und
Fleisch-Zerlegebetrieb schließt der Kreis Gütersloh alle Schulen und
Kitas bis zu den nordrhein-westfälischen Sommerferien, die am 29.
Juni beginnen. Dadurch solle eine Ausbreitung in der Bevölkerung
vermieden werden, sagte eine Sprecherin des Kreises. Unter den
Tönnies-Beschäftigten seien viele Mütter und Väter von Schulkindern
.

7000 Menschen wurden unter Quarantäne gestellt. Betroffen seien alle
Personen, die auf dem Werksgelände gearbeitet hätten, sagte Landrat
Sven-Georg Adenauer (CDU) am Mittwoch. Sie würden nun nach und nach
auf das Coronavirus getestet. Einen allgemeinen Lockdown für den
Kreis gebe es nicht, obwohl die wichtige Marke von 50 Neuinfektionen
pro 100 000 Einwohnern in sieben Tagen deutlich überschritten sei.

Als mutmaßliche Gründe für die zahlreichen Infektionen nannte das
Unternehmen die Rückkehr von Arbeitern nach Heimaturlauben. Viele der
häufig aus Rumänien und Bulgarien stammenden Beschäftigten hätten d
ie
langen Wochenenden für eine Reise genutzt. Außerdem beförderten
offenbar gekühlte Räume das Übertragen des Virus auf viele Personen,

so Tönnies-Vertreter Gereon Schulze Althoff. «Wir können uns nur
entschuldigen», sagte Tönnies-Sprecher Andre Vielstädte. Man habe
«intensiv» daran gearbeitet, das Virus «aus dem Betrieb zu halten».


Nach einem Ausbruch im Mai in einer Fleischfabrik im Kreis Coesfeld
in NRW waren bei einem großangelegten Corona-Reihentest durch die
Gesundheitsbehörden bei Tönnies zunächst nur wenige Fälle
festgestellt worden. Nach Unternehmensangaben war allerdings bei
späteren Tests ein Infektionsherd festgestellt worden.

Der Corona-Ausbruch in Berliner Wohnblöcken stellt aus Sicht eines
Berliner Amtsarztes eher kein Risiko für die Allgemeinbevölkerung der
Hauptstadt dar. Trotz Querverbindungen in andere Bezirke sei die
Wahrscheinlichkeit, dass ein berlinweites Problem entstehe, «nicht
besonders groß», sagte der Leiter des Gesundheitsamts Reinickendorf,
Patrick Larscheid, am Mittwoch im RBB-Inforadio. Er stellte einen
Zusammenhang zu den Ausbrüchen in NRW her: Die Betroffenen hier wie
dort lebten so abgeschottet, dass das Virus wohl nicht überschwappe.

In der Bevölkerung lasse allgemein die Disziplin beim Einhalten der
Corona-Regeln nach, sagte der Amtsleiter: «Insofern ist es natürlich
in der jetzigen Situation noch mal schwieriger, Menschen zu
verdeutlichen, dass Corona eben nicht vorbei ist und dass auch das
Einhalten von einer Quarantäne bedeutet, andere Menschen zu
schützen.» Die vom Ausbruch betroffenen Gruppen seien arme und zum
großen Teil auch bildungsferne Menschen, sagte Amtsarzt Larscheid im
Inforadio. Sie seien schwer zu schützen.

Die neue staatliche Corona-Warn-App, die beim Nachverfolgen der
Kontakte helfen soll, wertete Larscheid in Anbetracht des akuten
Falls als «Spielzeug für die digitale Oberschicht». Bei Gruppen wie
den nun Betroffenen könne man sich davon keine Vorteile erhoffen.