Goldindustrie ist nicht systemrelevant: Lieferengpass beim Edelmetall Von Jürgen Krämer, dpa-AFX

In die Liste der Dinge, die in Corona-Zeiten schwer zu bekommen sind,
reiht sich nun auch etwas ein, das eigentlich immer als krisensicher
galt: Gold. Bald könnte der Preis ein neues Rekordhoch erreichen.

Frankfurt/Main (dpa) - Während Investoren aus Furcht vor den
wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise massenhaft Geld in sichere
Anlagehäfen verlagern, sorgt ausgerechnet ein Lieferengpass bei der
Krisenwährung Gold für Schlagzeilen. Edelmetallhändler berichten von

Schwierigkeiten beim Nachschub von Goldmünzen und von Goldbarren,
weil auch der Handel mit dem Edelmetall unter den Folgen der Pandemie
leidet. Dabei dürfte die aktuelle Geldflut führender Notenbanken im
Kampf gegen die Krise den Goldpreis nach Einschätzung von Experten
weiter in Richtung Rekordhoch treiben.

«Die großen Goldverarbeiter sind seit etwa anderthalb Wochen
ausgefallen», beschrieb Edelmetallhändler Alexander Zumpfe vom
Handelshaus Heraeus die Lage. Viele Firmen, die führend in der
Verarbeitung des Edelmetalls sind, haben ihren Sitz im Schweizer
Tessin. Erst langsam und teilweise fahren sie den Betrieb wieder
hoch. Der Kanton liegt an der Grenze zu Italien und ähnlich wie im
Nachbarland mussten auch im Tessin alle Unternehmen, die nicht
systemrelevant sind, ihre Produktion einstellen. Gleichwertige
Alternativen sind nicht in Sicht: «Kleinere Barrenmanufakturen in
anderen Ländern sind nicht in der Lage, diesen Angebotsausfall zu
kompensieren», sagte Zumpfe.

Außerdem gibt es Lieferprobleme in Südafrika, wo der Kampf gegen die
Corona-Pandemie die Goldproduktion der Minen bremst. Die Folge:
Bestimmte Goldbarren und Goldmünzen sind für deutsche Käufer nur mit

Einschränkungen zu bekommen. Dabei ist die Nachfrage in den
vergangenen Wochen stark gestiegen. Degussa Goldhandel spricht bei
Barren und Münzen seit Anfang März von einem Zuwachs um mehr als 500
Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die angespannte Lage
zeigt sich auch an einer aktuell vergleichsweise hohen Spanne
zwischen dem Ankaufspreis, den Goldhändler bezahlen, und dem
Verkaufspreis für die Kunden.

Wer nicht auf Gold als sicheren Anlagehafen verzichten will, kann
aber weiterhin problemlos Wertpapiere kaufen, die mit Gold hinterlegt
sind. Allerdings hielten sich die Kursgewinne trotz der eskalierenden
Krise zuletzt in Grenzen. Während der heftigen Börsenturbulenzen im
März ist der Preis für das Edelmetall zeitweise sogar regelrecht
eingebrochen. Marktbeobachter verwiesen auf Zwangsverkäufe.
Zahlreiche Investoren brauchten während der Turbulenzen schnell Geld,
um Verluste an anderen Stellen ausgleichen zu können. Trotz der
zeitweise starken Verluste konnte der Goldpreis im ersten Quartal,
also in den Monaten Januar bis März, aber immer noch unterm Strich
etwa fünf Prozent zulegen und lag zuletzt bei gut 1650 Dollar je
Feinunze (31,1 Gramm).

Stärkster Preistreiber bleibt die extrem lockere Geldpolitik
führender Notenbanken, deren Geldschleusen sich wegen der Krise noch
weiter geöffnet haben. Im Kampf gegen den Konjunktureinbruch als
Folge der Pandemie wird weltweit in einem beispiellosen Ausmaß neues
Geld in die Wirtschaft gepumpt. Bei vielen Anlegern schürt das Sorgen
vor einem möglichen Kursverfall von Währungen wie dem Euro, was die
Nachfrage nach Gold weiter in die Höhe treibt.

Allerdings scheint ein wichtiger Preistreiber am Goldmarkt derzeit
auszufallen: Zu Beginn des Jahres waren massive Goldkäufe durch
Zentralbanken von Schwellenländern eine verlässliche Stütze des
Goldpreises. Mittlerweile hat sich die Lage spürbar geändert. Die
russische Zentralbank hatte zuletzt mitgeteilt, von April an kein
Gold mehr kaufen zu wollen. Eine Begründung wurde nicht genannt.
Experten sehen mögliche Ursachen in dem extremen Verfall der Ölpreise
und in der Talfahrt des russischen Rubel.

Rohstoffexperte Carsten Fritsch von der Commerzbank weist außerdem
darauf hin, dass die chinesische Notenbank schon seit Monaten kein
Gold mehr kauft. Zwar seien die Zentralbanken von Indien und der
Türkei nach wie vor als Käufer auf dem Goldmarkt aktiv, um ihre
Reserven ein Stück weit unabhängiger vom US-Dollar zu machen. Die
beiden Zentralbanken dürften aber kaum in der Lage sein, den Wegfall
Russlands und Chinas auszugleichen, sagte Fritsch.

In der jüngsten Studie von Goldman Sachs zum Goldpreis erkannten
Experten der Investmentbank eine Preisrally beim Gold, angetrieben
durch die Geldflut der Notenbanken. Sie sprachen von einer
«Wiederbelebung» des sicheren Anlagehafens. «Wir schließen bis zum

Jahresende einen Anstieg bis auf 1700 US-Dollar je Unze nicht aus»,
sagte Heraeus-Händler Zumpfe. Bei Degussa Goldhandel wird der
Goldpreis in diesem Jahr sogar bis zu einer Obergrenze von 1930
Dollar erwartet. «Dass diese Obergrenze erreicht oder gar übertroffen
wird, ist im Zuge der Coronavirus-Pandemie sehr wahrscheinlich
geworden», sagte der Chefvolkswirt von Degussa Goldhandel, Thorsten
Polleit. Das wäre dann ein Rekordhoch beim Preis für das Edelmetall.