«Wirtschaftsweise» sehen heftige Rezession und Hoffnungsschimmer Von Thomas Kaufner und Andreas Hoenig, dpa

«Geschlossen wegen Corona»: Dieses Schild hängt gerade in vielen
Läden. Die Einschnitte in der Pandemie sind beispiellos. Fest steht
schon jetzt: Die Bundesrepublik steckt in einer der tiefsten
Wirtschaftskrisen. Doch Ökonomen machen den Menschen auch Hoffnung.

Berlin (dpa) - Die Corona-Pandemie stürzt die Bundesrepublik in eine
der schlimmsten Rezessionen ihrer Geschichte. Weil sie aber eine im
Kern gesunde Ökonomie trifft, halten die «Wirtschaftsweisen» aus
aktueller Sicht eine schnelle und nachhaltige Erholung für
wahrscheinlich. Es gebe «keine massiven strukturellen Verwerfungen»,
sagte Volker Wieland, einer der drei Top-Ökonomen des Beratergremiums
der Bundesregierung, am Montag. «Es ist nicht wie in einem Krieg, wo
der Kapitalstock zerbombt wäre und die Arbeiter an der Front sind.»

Die «Wirtschaftsweisen» wandten sich gegen «Horrorszenarien» mit
einem möglichen zweistelligen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts und
dauerhaften sowie erheblichen Folgen. Allerdings räumt der
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung ein: präzise Vorhersagen sind derzeit wegen der großen
Unsicherheit kaum möglich.

WIE SCHLIMM WIRD DIE WIRTSCHAFTSKRISE NOCH WERDEN?

Der Corona-Schock treffe die Wirtschaft «ins Mark», heißt es in dem
Gutachten - zumal Europas größte Volkswirtschaft zuvor bereits nach
mehreren Boomjahren in einen Abschwung geraten war. Als derzeit
wahrscheinlichstes Szenario unterstellt der Rat einen fünfwöchigen
«Shutdown» und eine anschließende kurze Erholungsphase. Für diesen

Fall würde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Deutschlands 2020 um 2,8
Prozent schrumpfen, um im folgenden Jahr gleich wieder um 3,7 Prozent
zuzulegen. Zum Vergleich: 2009 war die größte europäische
Volkswirtschaft infolge der globalen Finanzkrise um 5,7 Prozent
eingebrochen. 2010 und 2011 konnte das BIP dann aber wieder um 4,2
und 3,9 Prozent zulegen.

Im schlimmeren Szenario nach einem längeren «Shutdown» wäre aus Sic
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der «Wirtschaftsweisen» ein tieferer Einbruch 2020 in der
Größenordnung von 5,4 Prozent denkbar. Sollten die
gesundheitspolitischen Maßnahmen sogar über den Sommer hinaus
andauern, würde sich die wirtschaftliche Erholung erst im Jahr 2021
einstellen. «Die getroffenen Politikmaßnahmen reichen dann womöglich

nicht aus, tiefgreifende Beeinträchtigungen der Wirtschaftsstruktur
zu verhindern.»

HÄTTE ES ALTERNATIVEN ZUM ÖFFENTLICHEN STILLSTAND GEGEBEN?

Die Einschränkungen des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft sind
aus Sicht der «Wirtschaftsweisen» unausweichlich. Man dürfe jetzt
nicht Wirtschaft und Gesundheit gegeneinander aufrechnen, sagte der
Vorsitzende des Expertengremiums, Lars Feld. «Die Einsicht des
Einzelnen ist sehr wichtig in dieser Situation.»

In der Corona-Pandemie hatte beispielsweise US-Präsident Donald Trump
erst in der vorigen Woche gewarnt, dass die wirtschaftlichen Folgen
der weitreichenden Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronavirus-Epidemie
«ein Land zerstören» könnten. Die weitgehende Stilllegung des
öffentlichen Lebens und die Schließung von Geschäften sei für die
Wirtschaft verheerend, hatte Trump erklärt.

Felds Kollege Wieland sagte zu dieser Haltung: «Ich sehe nicht,
welche Alternative es gegeben hätte, ich halte das auch für zynisch.»

Die Beispiele Italiens und der USA, wo sich die Zahl der
Corona-Infizierten und der Todesopfer aktuell deutlich erhöht,
zeigten, «dass man das nicht laufen lassen kann».

HAT DIE REGIERUNG GENUG GEGEN DIE WIRTSCHAFTSKRISE UNTERNOMMEN?

Bundesrat und Bundestag hatten in der vergangenen Woche ein
beispielloses Krisenpaket der Bundesregierung beschlossen, das
gewaltige Hilfen zur Rettung von Arbeitsplätzen und Unternehmen,
Unterstützung von Krankenhäusern sowie zur Sicherung von
Lebensunterhalt und Wohnung der Bürger vorsieht. Die Experten
bewerten diese Maßnahmen als angemessen. «Der Erfolg der
wirtschaftlichen Stützungsmaßnahmen hängt jedoch wesentlich von der
Dauer der Einschränkungen ab. Voraussetzung für einen Aufschwung ist
die Normalisierung des sozialen und wirtschaftlichen Lebens.»

Die aktuelle Lage bewerten die Experten als «historisch
außergewöhnlich» - entsprechend schwierig ist die Abschätzung der
wirtschaftlichen Auswirkungen. Wie erfolgreich die Regierung im Kampf
gegen die Corona-Krise am Ende sein wird, hänge davon ab, «ob es
gelingt, die Ausbreitung des Corona-Virus effektiv zu bekämpfen, so
dass die verschiedenen Einschränkungen sozialer und wirtschaftlicher
Aktivitäten schnell aufgehoben werden können», heißt es in dem
Gutachten. Und: die von der Regierung beschlossen Maßnahmen wie die
Ausweitung des Kurzarbeitergelds oder Liquiditätshilfen für Firmen
müssten wirken - um Jobs zu erhalten.

Uneins sind die Experten, ob Berlin die Blockade gemeinsamer Schulden
der EU-Staaten («Corona-Bonds») aufgeben soll. Feld meint, am
schnellsten wären zusätzliche Kredite über den bereits in der
Schuldenkrise etablierten EU-Rettungsfonds ESM. Etliche EU-Staaten,
darunter Frankreich und Italien, setzen sich für solche Anleihen ein,
bei denen alle gemeinsam für die Schulden haften und daher gute
Zinskonditionen erhalten würden.

WIE KOMMT DIE WIRTSCHAFT AUS DEM TAL HERAUS?

Die Sachverständigen appellieren an die Bundesregierung, bereits
jetzt über ein «Ausstiegsszenario» für die Zeit nach dem Stillstand

nachzudenken. Dies wäre nun dringend zu entwickeln, um in der
Öffentlichkeit Vertrauen zu wecken, «dass das gut gehen kann», sagte

Wieland. Im Gutachten ist die Rede von einer
«Normalisierungsstrategie». Die Politik müsse vor allem eins: klar
kommunizieren - sprich: den Leuten reinen Wein einschenken.

Für ein Konjunkturpaket ist es nach Einschätzung des Rates noch zu
früh - also etwa Steuersenkungen, um den privaten Konsum und
Investitionen der Firmen anzukurbeln. Denn derzeit sind die meisten
Menschen zu Hause, viele Läden haben dicht. Allerdings: die
Bundesregierung sollte wirtschaftspolitische Impulse für die Zeit
nach den Einschränkungen frühzeitig ankündigen - um die Grundlage f
ür
einen baldigen Aufschwung zu schaffen.