Wo ist der Ausweg aus dem Ausnahmezustand? Von Sascha Meyer, Jörg Blank, Anne-Béatrice Clasmann und Andreas Hoenig, dpa

Geschäfte zu, Kitas gesperrt, Firmen in Zwangspause: Wann wird das
alles enden? Noch dauert der Kampf gegen das Virus. Erkennbar wird
aber, woran sich behutsame Lockerungen orientieren können.

Berlin (dpa) - Es ist eine harte Geduldsprobe für alle Bürger und
eine schwierige Entscheidung für die Politik: Wann und wie kommt
Deutschland aus den beispiellosen Corona-Beschränkungen für den
Alltag der Gesellschaft, für Arbeitsplätze und die Wirtschaft wieder
heraus? Bund und Länder haben wie in einem Sicherungskasten einen
Schalter nach dem anderen nach unten gestellt: Grenzkontrollen,
Schulschließungen, Läden dicht, harsche Kontaktbeschränkungen. Auch
wenn noch niemand sagen kann, wann es so weit ist - es geht um einen
Plan, einzelne Schalter vorsichtig wieder nach oben kippen zu können.

Woran entscheidet sich, ob es Lockerungen gibt?

Klar ist bei allen Szenarien: Gesundheit geht vor. Kanzlerin Angela
Merkel (CDU) hat denn auch um Geduld gebeten und einen Hinweis
gegeben, was eine Messlatte sein soll: Nämlich, wie schnell sich die
Zahl der bestätigten Fälle verdoppelt. Nach einst drei Tagen seien es
nun etwa sechs Tage, erklärte Kanzleramtschef Helge Braun (CDU). Doch
kommen müsse man zu «10, 12 oder 14 Tagen». Dann sei voraussichtlich

ein Punkt erreicht, an dem das Gesundheitssystem nicht überfordert
wird. Wann genau das ist? Ungewiss. Dafür müssen die rigiden Auflagen
und Verbote quer durch die Republik auch erst einmal Wirkung zeigen.

Das lenkt den Blick auf die zweite medizinische Dimension - die
Kapazitäten vor allem der Kliniken, wenn demnächst wie erwartet
größere Zahlen schwerkranker Corona-Patienten kommen. Nach dem Aufruf
zum Verschieben planbarer Operationen sei jetzt fast die Hälfte der
Intensivbetten frei, berichtete Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU)
im ZDF. «Das heißt also, wir bereiten uns bestmöglich vor auf das,
was da kommen kann.» Garantien geben kann aber keiner. Ein weiterer
Faktor ist, wie rasch akut benötigter Nachschub an Schutzausrüstung
kommt und Testkapazitäten hochzufahren sind.

Wann kommen die nächsten Weichenstellungen?

Die Bundesregierung fährt auf Sicht - weil auch kein Forscher genau
voraussagen kann, wie sich die Epidemie entwickelt. Beobachtet wird
jeweils der aktuelle Stand. Merkel will an diesem Mittwoch in einer
Schaltkonferenz mit den Ministerpräsidenten besprechen, wie es mit
den am 22. März beschlossenen verschärften Kontaktbeschränkungen
weitergeht. Die waren zunächst auf mindestens zwei Wochen angelegt.
Viele Länder - die in der föderalen Bundesrepublik für die Umsetzung

zuständig sind - haben sie bereits bis 20. April festgesetzt. Dann
sind auch die Osterferien der Schüler vorbei, nur im Saarland etwas
später. Also müssen die Länder schon vorher entscheiden, wie es in
Schulen und anderen Bildungseinrichtungen danach weitergehen soll.

Unter anderem auch deshalb plant die Bundesregierung, die bisherigen
Kontaktbeschränkungen bis zur Kabinettssitzung am 15. April - also
gleich nach Ostern - zu bewerten. Darin dürfte auch einfließen, wie
die Regeln über die Feiertage eingehalten werden. «Wir können dann
nach Ostern möglicherweise über eine Veränderung reden, wenn wir bis

Ostern alle miteinander konsequent sind», sagte Spahn. «Abwarten ist
das Gebot der Stunde, das muss man jetzt aushalten», heißt es aus dem
Innenministerium. Und zu frühe Hoffnungen wecken, die sich vielleicht
nicht erfüllen und durchhalten lassen, will die Regierung auch nicht.

Wie weitreichend können Lockerungen überhaupt sein?

Dass alles auf einen Schlag wird wie vor Corona, ist ausgeschlossen.
Realistisch ist nur ein schrittweises Vorgehen, aber die Kriterien
sind vorerst vage. Wo kann mehr Kontakt riskiert werden, ohne dass es
nach einer mühsam erreichten Verlangsamung schlagartig zum nächsten
Infektionssprung kommt? «Ich denke an Beschleunigen und Bremsen, an
eine sorgfältige Balance zwischen Eigenverantwortung und staatlicher
Kontrolle», schwebt Spahn als Vorgehensweise vor. Denkbar sei, dass
es über Wochen hinweg bestimmte Ausgangsbeschränkungen geben könnte -

immer mal wieder und zeitlich begrenzt, je nach regionaler Lage.

Die Frage ist auch, nach welchen Maßstäben Zwangsschließungen enden
könnten: Für Einrichtungen, die besonders wichtig fürs Funktionieren

von Gesellschaft und Wirtschaft sind, zuerst und
Freizeiteinrichtungen später? Oder orientiert daran, wie viele
Menschen an einer Stelle zusammenkommen und wie eng? Im Gespräch sind
regionale Lösungen - und etwa auch, ob das Tragen von
Mund-Nase-Masken helfen könnte. Kontaktbeschränkungen wären auch
speziell für Risikogruppen wie Ältere oder chronisch Kranke denkbar.
Zu klären ist dann aber ihre weitere Versorgung und Betreuung.

Wie könnten Handy-Daten zu einer Lockerung beitragen?

Im Moment gelten Beschränkungen für alle. Dies könnte zielgenauer
ausgerichtet werden - auch mit digitaler Technik. Deshalb gibt es die
Idee, Handy-Daten zu nutzen, um festzustellen, wer Kontakt zu einem
Infizierten hatte - damit sich diese dann in häusliche Quarantäne
begeben, andere aber zur Arbeit gehen können. Über erste Pläne von
Spahn gab es kurzfristig keine Verständigung. Daher wird jetzt auch
über eine App diskutiert, die sich jeder freiwillig herunterladen
kann. In Österreich gibt es das schon. Über die App kann man eine
anonymisierte Warnung erhalten, wenn jemand, mit dem man in engem
Kontakt war und der die App auch nutzt, positiv getestet wurde.

Wie ungeduldig ist die Wirtschaft?

Die Lage ist mehr als angespannt, und ein großes Problem heißt
Unsicherheit, auch psychologisch. Viele Unternehmen und Geschäfte
sind abrupt in Existenznöte gestürzt, auch weil Kosten weiterlaufen.
Beschäftigte bangen um ihren Job. Fabriken produzieren nicht mehr,
Lieferketten sind gekappt. Der Staat setzt Milliardenprogramme
dagegen, um zu schützen, zu retten und zu stabilisieren. Deutschland
wird in eine Rezession stürzen - die Frage ist nur, wie schlimm.

Auch deswegen kamen erste Forderungen nach einer Exit-Strategie von
Wirtschaftsverbänden - um «nachhaltige Wohlstandsverluste» zu
verhindern. Denn ein monatelanger «Shutdown» hätte wohl dramatische
Folgen. Der Chef der sogenannten Wirtschaftsweisen, Lars Feld, sagte
am Montag, je länger die Krise dauere, desto schwieriger werde es vor
allem für kleine Firmen durchzuhalten. Da sei eine Exit-Stratege sehr
wichtig, und die Bundesregierung müsse klar kommunizieren. Dabei
machten aber auch die Wirtschaftsweisen klar: Die massiven
Einschränkungen des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft seien
unausweichlich. Man dürfe jetzt nicht Wirtschaft und Gesundheit
gegeneinander aufrechnen.