Laxe Schutzmaßnahmen vor Covid-19? Kritik an britischer Regierung Von Christoph Meyer, dpa

Mit Premierminister Johnson, Gesundheitsminister Hancock und dem
obersten medizinischen Berater Whitty müssen sich die wichtigsten
Figuren im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie in Selbstisolation
zurückziehen. Ist die Entscheidungsfähigkeit in London gefährdet?

London (dpa) - Nach Bekanntwerden der Covid-19-Erkrankung des
britischen Premierministers Boris Johnson und seines
Gesundheitsministers Matt Hancock wächst die Kritik am Umgang der
britischen Regierung mit dem Coronavirus-Ausbruch. John Ashton, ein
ehemaliger Regionaldirektor des Nationalen Gesundheitsdiensts NHS,
warf der Regierung Trägheit vor. Das gelte sowohl für die Maßnahmen
im Land als auch für deren persönliches Verhalten, beide seien «zu
langsam» gewesen.

Die Zahl der Toten in dem Land stieg am Samstag auf 1019. Wie das
Gesundheitsministerium in London mitteilte, starben seit Freitag 260
Menschen an den Folgen einer Infektion mit dem neuartigen
Coronavirus.

Am Montag hatte der Premierminister nach langem Zögern eine
Ausgangssperre verhängt und die Briten dazu aufgerufen, nur noch das
Haus zu verlassen, wenn unbedingt notwendig. Doch noch am Mittwoch
stellte sich Johnson im beengten Parlament den Fragen von
Abgeordneten.

«Ich war überrascht, dass die Fragestunde abgehalten wurde - es war
eindeutig unnötig», sagte Ashton dem «Guardian». Die «Financial
Times» zitierte ein Kabinettsmitglied mit dem Vorwurf, einige
Minister seien «sehr zögerlich» gewesen, die eigenen Ratschläge zur

sozialen Distanz in die Praxis umzusetzen. Ein anderes
Regierungsmitglied beschwerte sich der Zeitung zufolge, der Nationale
Sicherheitsrat Cobra habe noch bis vor wenigen Tagen
«zusammengepfercht» in einem abhörsicheren Sitzungsraum getagt.

Johnson hatte noch Anfang März geprahlt, er habe Menschen in einem
Krankenhaus, darunter Covid-19-Patienten, die Hände geschüttelt. Das
werde er auch weiterhin tun, sagte er damals. Die Maßnahmen der
Regierung zur Eindämmung der Pandemie beschränkten sich zu diesem
Zeitpunkt auf den Ratschlag, sich häufig und gründlich die Hände zu
waschen.

Der Premierminister hatte angekündigt, von seiner Dienstwohnung aus
in der Downing Street zu arbeiten. Seine Symptome seien mild, hatte
er betont. Unklar ist, ob sich auch die schwangere Verlobte Johnsons,
Carrie Symonds, angesteckt hat. Das gemeinsame Baby soll im
Frühsommer auf die Welt kommen. Johnson ist zweimal geschieden und
wohnt seit der Regierungsübernahme im vergangenen Juli mit der über
20 Jahre jüngeren Ex-Medienberaterin der Konservativen Partei im
Amtssitz in der Londoner Downing Street. Von ihr muss er sich nun
fernhalten. Das Essen und Regierungsdokumente werden dem
Premierminister Berichten zufolge vor die Tür gelegt.

Neben Hancock hatte sich auch der oberste britische Berater in
medizinischen Fragen, Chris Whitty, in Selbstisolation begeben. In
London geht nun die Sorge um, dass die Entscheidungsfähigkeit der
Regierung beeinträchtigt sein könnte, sollten noch weitere
Kabinettsmitglieder infiziert sein. Vorsorgliche Tests weiterer
Minister und Mitarbeiter soll es aber zunächst nicht geben. «Alle
folgen den Ratschlägen der Gesundheitsbehörde», sagte ein
Downing-Street-Sprecher auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Die
laute, sich in Selbstisolation zu begeben, sobald Symptome auftreten.

Sollte Johnson doch krankheitsbedingt ausfallen, müsste Berichten
zufolge Außenminister Dominic Raab die Leitung der Regierung
übernehmen. Es gibt jedoch Zweifel daran, ob er der Aufgabe gewachsen
ist. Spekuliert wird daher bereits, ob Staatsminister Michael Gove
oder Schatzkanzler Rishi Sunak einspringen könnten.

In London, Manchester und Birmingham wurden unterdessen begonnen,
Konferenzzentren zu temporären Krankenhäusern umzubauen. Allein im
Excel-Centre in der britischen Hauptstadt sollen 4000 Patienten
behandelt werden können.

Die Regierung kündigte zudem an, ihre Testkapazitäten erheblich zu
erweitern. Bislang wurden in Großbritannien nur rund 114 000 Menschen
auf das Coronavirus getestet - weit weniger als beispielsweise in
Deutschland. Vor allem Krankenhausmitarbeiter sollen bereits in den
kommenden Tagen großflächig mit einem neu entwickelten Verfahren auf
Antigene getestet werden.

Die für die Behandlung von Covid-19-Patienten dringend benötigten
Beatmungsgeräte soll unter anderem das vor allem für Staubsauger
bekannte Unternehmen Dyson herstellen. Die Regierung bestellte 10 000
Geräte. Doch wann sie tatsächlich einsatzbereit sein werden, war
zunächst unklar. Bislang stehen in Großbritannien gerade einmal rund
8000 Geräte zur Verfügung. Weitere 5000 sollen in den kommenden
Wochen hinzukommen.

Doch das dürfte bei Weitem nicht ausreichen. Auf dem Höhepunkt der
Pandemie rechnet die Regierung einem BBC-Bericht zufolge mit einem
Bedarf von 30 000 Geräten. Trotzdem nimmt Großbritannien an einem
Beschaffungsverfahren der EU nicht teil - angeblich wegen
Kommunikationsproblemen. Johnson soll bei einem Telefongespräch mit
US-Präsidenten Donald Trump am Freitag um Hilfe gebeten haben. Noch
vor der Begrüßung habe er gesagt: «Wir brauchen Beatmungsgeräte»,

berichtete Trump.