TikTok und Jodel - Politiker-Ansprachen in der Corona-Krise Von Hannah Wagner, dpa

In Zeiten von Corona suchen viele Politiker den Kontakt zu Bürgern
über digitale Kanäle. Für die politische Kommunikation könnte das
nachhaltige Folgen haben, meint ein Politologe.

Berlin (dpa) - Kaum Pressekonferenzen, keine Infoabende, kein Plausch
am Wahlkampfstand: Die Corona-Krise schränkt die politische
Kommunikation in vielen Bereichen ein - schafft aber auch neue
Möglichkeiten. Um mit den Bürgern in Kontakt zu bleiben, nutzen
einige Politiker in diesen Tagen verstärkt digitale Formate.

Der Politikwissenschaftler Marcel Solar glaubt, dass die aktuelle
Situation die Modernisierung der politischen Kommunikation
beschleunigen könnte: «Auch wenn vorher viele schon präsent waren in

den sozialen Medien, glaube ich schon, dass das jetzt dem Ganzen
nochmal einen Schub gibt», erklärt Solar, der an der Uni Düsseldorf
die Stabsstelle Bürgeruniversität leitet.

Ein Spitzenpolitiker, der nun neue Kanäle ausprobiert, ist der
saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU). Seit kurzem ist er
auf der Kurzvideo-Plattform TikTok unterwegs. «Ich will unsere
Jugendlichen dort erreichen, wo sie unterwegs sind - in den sozialen
Netzwerken», sagte Hans zur Begründung. Auch das
Bundesgesundheitsministerium informiert nun auf TikTok. Und
Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) beantwortete vor wenigen Tagen
Fragen von Nutzern der Social-Media-App Jodel.

Hier sieht Politologe Solar eine Veränderung: «Tiktok und Jodel zum
Beispiel waren vorher sicher nicht unbedingt im Standardrepertoire
eines Ministerpräsidenten oder Bundesministers», sagt er. Aktuell
aber sei die Experimentierfreudigkeit höher: «Die Situation jetzt
zwingt die Leute, andere Wege zu gehen - und das gilt eben auch für
die politische Kommunikation.»

Solche Entwicklungen könnten durchaus nachhaltig sein, meint Solar:
«Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass man gerade an vielen Stellen
Potenziale entdeckt und dass das auch ein bisschen hängen bleibt.»

Neben politischen Inhalten geben einige Politiker in den sozialen
Medien derzeit auch private Einblicke. So veröffentlichte
Ex-Grünen-Chef Cem Özdemir auf Twitter mehrere Videos aus seiner
Heimquarantäne. Die an Covid-19 erkrankte FDP-Politikerin Karoline
Preisler führt - ebenfalls auf Twitter - ein «Corona-Tagebuch». Dort

zeigt sie Fotos aus ihrem Zuhause und von ihren Kindern, berichtet
von Kurzatmigkeit, aber auch kleinen Glücksmomenten.

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) postete vor einigen Tagen aus dem
Homeoffice ein Foto einer Kaffeetasse. Das hätte er früher wohl kaum
getan, meint Politologe Solar: «Das ist einfach eine
Ausnahmesituation gerade. Wir stehen alle vor denselben
Herausforderungen und da ist dann vielleicht einfach auch ein Bedarf
an menschlichen Einblicken da.»