Corona-Szenarien: Innenministerium für viel mehr Tests

Das Krisenkabinett entscheidet. Dennoch entwickelt natürlich auch
jedes der beteiligten Ministerien seine eigenen Ideen. Einige davon
sind jetzt aus dem Innenministerium durchgesickert. Hier denkt man,
mehr Menschen sollten auf das Coronavirus getestet werden.

Berlin (dpa) - Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat
Wissenschaftler untersuchen lassen, wie bestimmte staatliche
Maßnahmen das Tempo der Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland
beeinflussen würden. In dem Arbeitspapier werde festgehalten, wie
sich die aktuelle Situation auf die innere Sicherheit auswirken
könnte, «welche unterschiedlichen Verläufe sind hier denkbar», sagt
e
Ministeriumssprecher Steve Alter am Freitag in Berlin.

In dem Papier wird nach dpa-Informationen unter anderem
vorgeschlagen, nach dem Vorbild Südkoreas mit massiv ausgeweiteten
Tests und dem Einsatz von Handy-Ortung eine stärkere Trennung von
Menschen, die bereits infiziert wurden, und solchen, die sich noch
nicht angesteckt haben, zu erreichen. Außerdem wirbt das
Innenministerium als Konsequenz aus den Berechnungen und Überlegungen
für noch strengere Einreisebeschränkungen und -vorschriften.

Dazu gehören weitere Einschränkungen für Saisonarbeiter und eine
bundesweit geltende 14-tägige Quarantäne für Deutsche, die aus
Nicht-EU-Staaten einreisen. Mit diesen Vorschlägen konnte sich
Seehofer im Corona-Krisenkabinett allerdings bisher nicht
durchsetzen.

Laut «Spiegel», NDR, WDR und «Süddeutscher Zeitung» spielen die
Experten im dem vertraulichen Papier mit dem Titel «Wie wir Covid-19
unter Kontrolle bekommen» ein Szenario durch, in dem vom 6. April an
50 000 Tests pro Tag möglich sind, vom 13. April an
100 000 und Ende April dann 200 000. Die bisherige Methode nach dem
Motto «Wir testen, um die Lage zu bestätigen» müsse abgelöst werd
en
durch den Ansatz «Wir testen, um vor die Lage zu kommen».

Die Wissenschaftler gehen den Berichten zufolge in diesem positivsten
Szenario davon aus, dass sich rund eine Million Menschen infizieren
und etwa 12 000 sterben würden. Das strenge Vorgehen müsste zwei
Monate durchgehalten werden. Danach «müsste weiterhin kontinuierlich
hohe Wachsamkeit bestehen bleiben», weil die Bevölkerung nur zu einem
geringen Teil gegen das Virus immunisiert wäre.

Minister Seehofer sagte dem «Spiegel», er sei «entschiedener Anhäng
er
der Suppression», also von strikten Maßnahmen, «auch wenn dieser Weg

deutlich teurer ist». «Aber er rettet am meisten Leben.»

Im schlimmsten Fall, wenn der Staat nur wenig unternimmt, rechnen die
Wissenschaftler damit, dass bald 70 Prozent der Bevölkerung infiziert
wären. Mehr als 80 Prozent der Menschen, die intensivmedizinische
Behandlung bräuchten, müssten dann von den Krankenhäusern abgewiesen

werden. Die Todeszahlen würden die Millionengrenze übersteigen.

Die Fachleute empfehlen, den Deutschen diese Gefahr mit einer
Aufklärungskampagne vor Augen zu führen, wie es weiter hieß. «Um di
e
gesellschaftlichen Durchhaltekräfte zu mobilisieren, ist das
Verschweigen des Worst Case keine Option», steht den Berichten
zufolge in dem Papier, das vor rund einer Woche unter Federführung
von Staatssekretär Markus Kerber entstanden war.