«Applaus reicht nicht» - Systemrelevante Berufe nur mäßig bezahlt Von Christian Ebner, dpa

Applaus von den Balkonen und warme Worte - die Beschäftigten in
systemrelevanten Berufen erfreuen sich in der Corona-Krise maximaler
Beliebtheit. Aber verdienen sie auch genug?

Wiesbaden/Berlin (dpa) - Sie werden im Netz und auf den Balkonen
wegen ihres Einsatzes in der Corona-Krise gefeiert, doch Menschen in
systemrelevanten Berufen verdienen häufig vergleichsweise wenig Geld.
So erhalten Altenpfleger, Lastwagenfahrer oder Beschäftigte im
Einzelhandel teils deutlich weniger als Fachkräfte in der
Gesamtwirtschaft, wie aus der am Freitag veröffentlichten
Verdiensterhebung des Statistischen Bundesamts hervorgeht.

Vergleichsweise hohe Einkommen über dem deutschen Mittelwert von 3327
Euro haben demnach medizinische und pflegerische Fachkräfte im
ausgewerteten Jahr 2019 erzielt. Hier reicht die Spanne der
durchschnittlichen Brutto-Monatsverdienste von 8545 Euro für
Krankenhausärzte in leitender Stellung über 4524 Euro für
Intensivpfleger bis zu 3502 Euro für einfache Fachkräfte wie
Krankenpfleger und Pflegerinnen. Diese machen gut die Hälfte des
Krankenhauspersonals aus, so die Statistiker. Angelernte Kräfte im
Krankenhaus kommen demnach ohne Sonderzahlungen auf 2763 Euro brutto.

In Alten- und Pflegeheimen müssen einfache Fachkräfte mit
unterdurchschnittlichen 3116 Euro Brutto-Monatslohn zurechtkommen. Am
wenigsten gibt es im Einzelhandel zu verdienen, wo über alle
Leistungsgruppen hinweg im Schnitt nur 2345 Euro gezahlt werden, gut
40 Prozent unter dem bundesweiten Wert für Produktion und
Dienstleistungen. Fachkräfte bekommen im Handel 2186 Euro und die
große Gruppe der Angelernten sogar nur 1980 Euro bei einem
Vollzeitjob.

Mit 3374 Euro liegen Fachkräfte bei Polizei und Feuerwehr ungefähr im
Durchschnitt. Unterdurchschnittlich verdienen auch Fachkräfte bei der
Abfallentsorgung, in der Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln,
der Gebäudereinigung, im Garten- und Landschaftsbau oder im
regionalen Personennahverkehr.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat auf einer
anderen Datengrundlage errechnet, dass rund 90 Prozent aller Menschen
in den systemrelevanten Berufen unterdurchschnittlich verdienten.
Hier seien auch Überdurchschnittlich viele Frauen tätig. Gutverdiener
wie Ärzte oder IT-Spezialisten fielen zahlenmäßig kaum ins Gewicht.
Der durchschnittliche Brutto-Stundenlohn liege mit 18 Euro unter dem
Schnitt aller Berufe mit 19 Euro.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund verlangte höhere Gehälter für die
Betroffenen. «Applaus allein reicht nicht», erklärte die
Vize-Vorsitzende Elke Hannack in Berlin. «Harte Arbeit, bescheidener
Lohn - damit muss spätestens nach Corona Schluss sein. Die
Dankbarkeit sollte sich regelmäßig zum Monatsende niederschlagen - in
harten Euros auf dem Gehaltszettel.» Wer in diesen Berufen arbeite,
soll davon leben können, die Miete bezahlen und den nächsten Urlaub
mit der Familie, meinte die Gewerkschaftern. «Auf die derzeitige
gesellschaftliche Dankbarkeit muss endlich echte Aufwertung folgen,
etwa durch die Ausweitung der Tarifbindung.»

Die Gewerkschaft Verdi brachte eine monatliche Prämie von 500 Euro in
die Diskussion. Die Beschäftigten stünden unter extremer Belastung,
zum Teil gefährdeten sie auch ihre Gesundheit, erklärte Verdi-Chef
Frank Wernecke. «Die Arbeitgeber müssen sich dafür erkenntlich
zeigen.» Der Staat solle auf die vorgeschlagene Prämie keine Steuern
erheben.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände reagierte
verhalten auf die Verdi-Forderung. Viele Unternehmen könnten
angesichts der beispiellosen Krise kaum langfristig planen, müssten
Kurzarbeit in Anspruch nehmen und stünden unter großem finanziellen
Druck. Es sei daher eine sehr betriebsindividuelle Entscheidung, ob
der besondere Einsatz honoriert werden könne.