Rotkreuz-Chef in Mailand: «Was fehlt, ist die Umarmung.»

Genf/Mailand (dpa) - Die Helfer des Roten Kreuzes erleben
herzzerreißende Szenen in der vom Coronavirus schwer getroffenen
Region Lombardei in Norditalien. «Was fehlt, ist die Umarmung», sagte
der Präsident der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften (IFRC),
Francesco Rocca, am Freitag in einem virtuellen Briefing mit
UN-Korrespondenten in Genf. Rocca war in Mailand, nachdem er Bergamo
und andere betroffene Ortschaften in der Region besucht hatte.

«Ich habe gestern eine freiwillige Helferin des Roten Kreuzes
getroffen, die am Morgen ihre Mutter verloren hatte. Sie stand zwei
Meter von mir entfernt und weinte, und ich konnte sie noch nicht
einmal in den Arm nehmen», sagte Rocca. Auch die Besatzungen der
Krankenwagen, die Kranke zu Hause abholen, erlebten unerträgliche
Situationen: «Die Angehörigen wissen wahrscheinlich, dass sie ihre
Lieben zum letzten Mal sehen, und sie vermissen die menschliche
Berührung, sie können sich noch nicht einmal richtig verabschieden»,

sagte Rocca. «Sie haben Sanitäter im Haus in den Schutzanzügen, und
auch die können sich nicht nähern, um Trost zu spenden.»

Die Mitarbeiter im Gesundheitswesen bräuchten dringend psychologische
Hilfe. «Sie erleben Dinge, die sie sich nie hätten vorstellen
können», sagte Rocca. Das Rote Kreuz habe schon spezielle
Telefonnummern für sie eingerichtet. In Krankenhäusern müssten sich
Physiotherapeuten jetzt um die Toten kümmern, Herzchirurgen
arbeiteten auf den Stationen, um Covid-19-Patienten zu versorgen.

Rocca warnte zudem vor sozialen Unruhen. Menschen, die sonst von
Tagelöhnerjobs lebten, die wahrscheinlich keine Papiere hätten und
keinen Zugang zu Sozialsystemen, seien verzweifelt. «Das ist eine
Bombe, die jeden Moment explodieren kann», sagte Rocca.