Medientheoretiker Weibel: Zeitalter der Nähe geht zu Ende

Karlsruhe (dpa) - Die Nahgesellschaft ist Vergangenheit, die
Ferngesellschaft ist die Zukunft - diese Ansicht vertritt zumindest
der Chef des Karlsruher Zentrums für Kunst und Medien (ZKM), Peter
Weibel. «Das Zeitalter der Nähe geht zu Ende», sagte er den
«Badischen Neuesten Nachrichten» (BNN/Freitag). Das Virus sei das
Monster der Nahgesellschaft. Doch der Medientheoretiker weist darauf
hin, dass es etwas benötige, das die Ferngesellschaft nicht brauche:
einen Boten. «Es benötigt den menschlichen Organismus, um seine
Botschaft - die Krankheit - sichtbar zu machen.»

Mit der Erfindung der Telekommunikation habe sich das Verhältnis
zwischen dem, der eine Botschaft senden will, und dem, der sie
empfangen soll, grundlegend geändert, sagt Weibel den BNN. «Es ist
kein Überbringer mehr erforderlich. Alles geht - über größte
Distanzen hinweg - telematisch: Telegraf, Telefon, Television.» Das
altgriechische Wörtchen «tele» für «fern» habe bereits vielfach

Eingang in unsere Sprache gefunden.

Die Ferngesellschaft hat aus Sicht von Weibel große Vorteile. Der
ZKM-Vorstand verweist in dem Blatt etwa auf die ökologischen Folgen
der Massenmobilität und des Massentourismus. «Das Virus zwingt uns
dazu, die Massenmobilität zu beenden.» Die sei es, die dessen
Verbreitung beschleunige. «Wir erleben ein großes soziales
Experiment», so Weibel. «Wären wir bereits in der Ferngesellschaft,
könnte auch das Virus nicht reisen.» Durch die Teletechniken könne
aber die Nahgesellschaft gerettet werden: «Wir dürfen uns nicht die
Hand geben, aber wir können telefonieren.»