Plötzlich beliebt: Corona beflügelt Lebensmittel-Lieferdienste Von Erich Reimann, dpa

Ihre Smartphones, Bücher und Bekleidung kaufen die Verbraucher in
Deutschland schon lange im Online-Handel. Doch bei Lebensmitteln
machten viele noch einen Bogen um das Internet. Die Corona-Krise
dürfte das nachhaltig ändern. Allerdings gibt es einen Haken.

Düsseldorf (dpa) - Jahrelang zeigten die Verbraucher in Deutschland
den Angeboten von Online-Lebensmittelhändlern die kalte Schulter und
kauften Fleisch und Gemüse lieber im Supermarkt oder beim Discounter
um die Ecke. Doch seit wenigen Wochen ist alles anders: Die Angst vor
dem neuartigen Coronavirus beschert den Online-Lieferdiensten von
Rewe, Picnic, Getnow bis zu Amazon Fresh ungeahnte Wachstumsraten.
Doch die Sache hat einen Haken. Wer heute Lebensmittel online
bestellt, muss oft wochenlang auf die Lieferung warten.

Am 26. Februar sei der Run auf die Lebensmittellieferdienste
ausgebrochen, sagte Thorsten Eder von Getnow - und das an allen
Standorten des Online-Supermarktes gleichzeitig: in Berlin, München,
Frankfurt, Hannover, Essen wie im Großraum Düsseldorf/Neuss. Die
Folge: Die Zustellslots sind mittlerweile 14 Tage im Voraus
ausgebucht. «Wir können nur einen kleinen Teil der Nachfrage
abarbeiten. Dabei sind wir immer auf Volllast», sagte Eder. Die Zahl
der Bestellungen habe sich schlagartig verdoppelt. Die Zahl der
Neukundenanmeldungen sei in einigen Städten um 500 Prozent gestiegen.

Dabei hatte der Online-Händler, der sich seine Ware bei der Metro
beschafft, mit ähnlichen Problemen zu kämpfen wie die stationäre
Konkurrenz. So waren Toilettenpapier, Nudeln und Konserven zeitweise
ausverkauft. Doch inzwischen sei die Zeit der Hamsterkäufe vorbei,
sagte Eder. Den Bestellern gehe es mittlerweile offenbar weniger ums
Hamstern, als darum, beim Lebensmitteleinkauf Kontakt zu anderen
Menschen möglichst zu vermeiden. «Das hören wir viel von den Kunden.
»

Auch Frederic Knaudt, der Deutschland-Chef des Online-Supermarkts
Picnic, der im Ruhrgebiet und im Rheinland Kunden in 10 Städten
beliefert, betonte: «Die Nachfrage hat sich bei uns mehr als
verdoppelt.» Picnic habe seit Ende Februar fast 200 neue Mitarbeiter
eingestellt. Dennoch könne das Unternehmen kaum mit der großen
Nachfrage mithalten. Wurden sonst die Bestellungen in der Regel schon
am Folgetag geliefert, so muss der Kunde jetzt in der Regel bis zur
nächsten Woche warten. Und auch das nur als Bestandskunde.

Wer das erste Mal bei Picnic einkaufen will, landet aktuell auf einer
Warteliste. Dort stehen allerdings schon mehr als 70 000 Haushalte,
wie Knaudt sagte. Picnic überlege deshalb, künftig die Ware auch am
Sonntag zuzustellen. Das würde mehr Kapazitäten bringen.

Bei dm müssen die Kunden aktuell ebenfalls ziemlich lange auf ihre
Bestellungen warten. Der Chef der Drogeriemarktkette, Christoph
Werner, sagte dem «Handelsblatt»: «Wegen der enormen Nachfrage ist
die Lieferzeit kurzzeitig von zwei bis drei Werktagen auf neun bis
zwölf Werktage hochgeschnellt.» Einen Testlauf zur Abholung
bestellter Waren in der Filiale habe man ausgesetzt, «weil die Mengen
in den Märkten explodierten».

Selbst Rewe kann den Kundenansturm in seinem Online-Shop nur mühsam
schultern. Lieferfristen von ein bis zwei Wochen seien mittlerweile
nicht ungewöhnlich, berichtete ein Unternehmenssprecher. Dabei ist
Rewe mit seinem in 75 Städten verfügbaren Lieferservice einer der
führenden Online-Lebensmittelhändler in der Bundesrepublik.

Und auch der US-Internetgigant Amazon muss dem Kundenansturm Tribut
zollen. Auf der Homepage seines Lebensmittel-Lieferdienstes Amazon
Fresh warnt der Konzern unübersehbar: «Sortiment und Lieferung können

aufgrund erhöhter Nachfrage vorübergehend eingeschränkt sein.»

Dabei hatten die Verbraucher in Deutschland vor der Corona-Krise
wenig Interesse am Kauf von Lebensmitteln im Internet. Eine Umfrage
im Auftrag der Unternehmensberatung AlixPartners ergab im vergangenen
Jahr, dass nur jeder vierte Verbraucher schon einmal Lebensmittel
online bestellt hat. Damit standen im Heimatland der Discounter und
genossenschaftlich organisierten Supermärkte Lebensmittel als
Produktkategorie ganz am Ende der Online-Wunschliste. Als Hauptgrund
gaben 54 Prozent der Kunden ihre Bedenken bezüglich Qualität und
Frische der Waren beim Online-Einkauf an.

Doch dürfte sich das jetzt nachhaltig ändern, ist der Handelsexperte
Peter Heckmann von AlixPartners überzeugt. «Für den Online-Handel mit

Lebensmitteln ist die aktuelle Lage eine große Chance, sich aus
seiner Nische herauszubewegen. Nach der Krise wird der E-Commerce in
diesem Bereich wohl eine größere Rolle spielen, weil viele Kunden
jetzt merken, dass die Angebote attraktiv sind.»

Voraussetzung ist allerdings, dass die Online-Händler ihr aktuell
größtes Problem in den Griff kriegen: die langen Lieferzeiten.
«Lieferfristen von bis zu 14 Tagen sind viel zu lang. Das mag jetzt
in der Krise funktionieren, weil es vielen Verbraucher darum geht,
möglichst jeden Kontakt zu anderen Menschen zu vermeiden. Aber auf
Dauer sind solche Wartezeiten nicht tragbar», sagte Heckmann.