Corona in Kriegsgebieten - die Gefahr einer neuen Katastrophe Von Arne Bänsch, Andreas Stein, Claudia Thaler und Jan Kuhlmann

Die Corona-Pandemie hat die Welt im Griff. Tausende starben bereits.
Die Gesundheitssysteme vieler Staaten stehen unter enormen Druck. Und
in den Kriegsgebieten der Welt bahnt sich eine weitere Katastrophe
an.

Kabul (dpa) - Zu wenig Ärzte, nicht genug Krankenhaus-Betten und
sogar Fieberthermometer sind oft Mangelware. In den Krisengebieten
dieser Welt, wo Krieg, Gewalt und Armut heftige Spuren hinterlassen
haben, verschärft die weltweite Corona-Pandemie die Lage dramatisch.
Und das vor den Augen der Weltöffentlichkeit.

ZEHNTAUSENDE TOTE IN AFGHANISTAN BEFÜRCHTET

«Wenn sich das Virus ausbreitet, können wir nichts mehr tun. Wir sind
nicht einmal in der Lage, 100 Betten für Corona-Patienten in einem
Notfall zur Verfügung zu stellen», sagt Mohammad Dschawad Mersaie,
ein Arzt aus der umkämpften westlichen Provinz Farah. Es fehle an
fast allem: Nur fünf Infrarot-Fieberthermometer habe man im
Krankenhaus der Provinzhauptstadt. Die militant-islamistischen
Taliban ließen die Ärzte aber ihre Arbeit machen, sagt der Arzt.

Seit fast vier Jahrzehnten kommt das Land am Hindukusch nicht zur
Ruhe. Krisen und Kriege haben das Gesundheitssystem in die Knie
gezwungen. Trotz internationaler Hilfe in Milliardenhöhe haben viele
nur selten Zugang zu ausreichender medizinischer Versorgung. Es
mangelt an Ausrüstung und Personal. Der Weg ins Krankenhaus ist oft
weit und gefährlich.

Sorgen bereitet auch der Grenzverkehr zum besonders schwer von der
Krise betroffenen Nachbarland Iran. Fast 200 000 Afghanen kehrten
nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration aus dem
Land zurück - nur wenige Hundert wurden auf das Coronavirus getestet.
Ebenso fliehen jährlich Hunderttausende wegen der Kämpfe und Gefechte
aus ihren Dörfern und Städten. Auf engstem Raum leben sie oft in
Flüchtlingslagern zusammen.

Das Gesundheitsministerium fürchtet ein düsteres Szenario für das
kriegszerrisene Land. Weit mehr als 100 000 Menschen könnten an den
Folgen des Coronavirus sterben, sagte Ministeriumssprecher Wahidullah
Mayar. Im schlimmsten Fall geht die Regierung davon aus, dass 80
Prozent der Bevölkerung an Covid-19 erkranken. Durch die Epidemie
werde sich die Ernährungslage noch einmal verschärfen», warnt die
Welthungerhilfe. «Es ist eine sehr, sehr schwierige Zeit.»

WASSERVERSORGUNG IN DER OSTUKRAINE STÄNDIG GEFÄHRDET

Offiziell sind noch keine Infektion gemeldet, aber auch im
Kriegsgebiet im Osten der Ukraine könnte sich die Lage zuspitzen.
Beide Seiten - Kiew und die prorussischen Separatisten - haben die
Kontrollpunkte zu den seit 2014 von Separatisten kontrollierten
Teilen der Gebiete Donezk und Luhansk faktisch geschlossen. Auch der
Umweg über das angrenzende Russland war kurzzeitig zu.

Bisher passierten täglich rund 40 000 Menschen die Konfliktlinie. Das
wird nun vor allem für Hunderttausende Rentner im Separatistengebiet
zum Problem. Sie können ihre Rente nur an Geldautomaten an der
anderen Seite der Grenze abholen. Viele leben von der Hand in den
Mund. Für sie könnte die Situation mehr als eng werden.

Das Rote Kreuz ist als eine der wenigen internationalen
Hilfsorganisationen weiter im Rebellengebiet aktiv. Man will auch
bleiben. Für die Alten soll so vor allem eine Grundversorgung mit
Lebensmitteln garantiert werden. Doch durch die Kämpfe ist auch die
Wasserversorgung gefährdet. «Ein Treffer in Wasserversorgungsobjekte
kann tödlich für tausende Zivilisten sein», warnt die
Hilfsorganisation. Händewaschen zur Vorbeugung vor einer Infektion
könnte dann nicht mehr möglich sein.

Wie die medizinischen Einrichtungen Covid-19-Erkrankungen meistern
könnten, ist völlig unklar. Nach sechs Jahren Krieg kann ein Ausbruch
der Epidemie katastrophale Folgen haben. In dem Konflikt gab es
bislang 13 200 Tote. Ein Friedensplan liegt auf Eis.

ÜBERFÜLLTE FLÜCHTLINGSLAGER IN SYRIEN

In dem Bürgerkriegsland gibt es offiziell erst wenige Fälle, allesamt
in Regierungsgebieten. Wahrscheinlich ist es aber nur eine Frage der
Zeit, bis das Virus auch Rebellengebiete im Norden und Nordwesten
erreicht. Dort ist die humanitäre Lage ohnehin schon katastrophal.
Viele der Hunderttausenden Vertriebenen leben in völlig überfüllten
Lagern, «dicht gedrängt unter unmenschlichen Bedingungen», wie die
Hilfsorganisation Save the Children beklagt. Es ist praktisch
unmöglich, Kontakt zu meiden.

Schon jetzt ist das Gesundheitssystem völlig überlastet. Durch
Luftangriffe der syrischen Armee und des Verbündeten Russland sind
viele Krankenhäuser zerstört. Verbreitet sich das Virus, drohen auch
die verbliebenen Einrichtungen zusammenzubrechen. Die WHO hat in der
Rebellenprovinz Idlib mit flächendeckenden Tests begonnen. Auch
dringend benötigte Schutzkleidung wird dorthin gebracht.