Notfall-Plan für Tokio: Frühjahrsspiele ohne Olympia-Dorf? Von Christian Hollmann, dpa

Nach der Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio nimmt eine
Krisen-Gruppe die Arbeit auf. Möglichst schnell soll der neue Termin
für 2021 gefunden werden. IOC-Chef Thomas Bach erwartet harte
Einschnitte für alle Beteiligten.

Lausanne (dpa) - Die Olympia-Macher von Tokio aktivieren den
Notfall-Plan. Nach der beispiellosen Verlegung des größten Sportfests
der Welt ins nächste Jahr sind nun sogar olympische Frühjahrsspiele
ohne gemeinsames Athletendorf möglich. «Diese verschobenen
Olympischen Spiele werden Opfer und Kompromisse von allen Beteiligten
erfordern», mahnte IOC-Präsident Thomas Bach am Mittwoch. Ein hastig
einberufenes Krisenteam von Internationalem Olympischen Komitee und
Gastgeber Japan nimmt am Donnerstag die Arbeit auf und soll dann die
gigantischen Folgen der Verschiebung in den Griff bekommen.

Die Task Force erhielt den Namen «Here we go» (Los geht's). Doch es
dürfte ein schwerer Aufbruch werden, nachdem sich das IOC und Japan
dem Druck der Corona-Pandemie gebeugt und nach wochenlangem Zögern
die Tokio-Spiele verlegt hatten. Es sei «eine qualvolle Entscheidung»
gewesen, bekannte der Chef von Japans Olympischem Komitee, Yasuhiro
Yamashita. Der Start des Fackellaufs durch Japan, der für Donnerstag
geplant war, wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.

Wann die Flamme ihre Reise fortsetzt, dürfte indes eines der
kleinsten Probleme der erstmaligen Verschiebung Olympischer Spiele
sein. «Das ist ein großes Puzzle, jedes Teil muss passen. Wenn man
ein Teil rausnimmt, ist das ganze Puzzle zerstört. Deshalb beneide
ich die Mitglieder dieser Task Force nicht», sagte Bach.

Die erste Kernfrage dreht sich um den konkreten Termin. «Es ist nicht
beschränkt auf die Sommermonate. Alle Optionen bis zum Sommer 2021
liegen auf dem Tisch», sagte Bach dazu. Auch Olympia im April oder
Mai, wenn es in Tokio deutlich kühler ist als im schwülheißen August,

ist damit nicht ausgeschlossen.

Die olympischen Krisenmanager wollen dazu nun schnell in die
Abstimmung mit allen 33 internationalen Sportfachverbänden gehen.
Schon am Donnerstag könnte es dazu eine gemeinsame Telefonschalte
geben, kündigte Bach an. «Das ist der erste Schritt. Dann müssen wir

schauen, welche Optionen wir haben», sagte der 66-Jährige.

Dafür müsse aber auch der weitere Sportkalender rund um die Spiele
betrachtet werden, der auch Weltmeisterschaften in den olympischen
Kernsportarten Leichtathletik und Schwimmen beinhaltet. «Wir sollten
zu einer Lösung so bald wie möglich kommen», sagte Bach. Die Wahl des

Termins müsse aber wohl überlegt sein.

Auch an Grundpfeilern wie einem Olympischen Dorf könnte die Task
Force rütteln müssen. Bach wollte in einer Telefonkonferenz nicht
garantieren, dass die 11 000 Sportlerinnen und Sportler und ihre
Betreuer bei Olympia sowie später die 4400 Paralympics-Teilnehmer wie
gewohnt in einem eigenen Viertel wohnen. Die mehr als 5000 Wohnungen
des Olympischen Dorfes sollten aber nach den Sommerspielen und den
Paralympics in diesem Jahr an private Eigentümer übergeben werden und
sind zum Teil schon verkauft.

«Wir tun, was wir können, damit es ein Olympisches Dorf gibt. Dort
schlägt normalerweise das Herz der Spiele. Aber es ist eine
beispiellose Herausforderung», sagte Bach. Die Athleten müssten sich
voraussichtlich an andere Wohnbedingungen anpassen, warnte der
Fecht-Olympiasieger von 1976. Zuvor hatte er in einer an die Sportler
gerichteten Video-Botschaft gesagt: «Ich kann keine idealen Lösungen
versprechen, aber ich kann versprechen, dass wir die bestmöglichen
Spiele haben werden.»

IOC-Athletenvertreterin Britta Heidemann erwartet für die
Tokio-Spiele 2021 noch deutlich mehr Komplikationen. «Es müssen
einfach tausende neue Absprachen und Regelungen getroffen werden»,
sagte die 37 Jahre alte Kölnerin, die Mitglied der Athletenkommission
des IOC ist, im Interview von Sport1. Sie verwies auch auf
Mietverträge für die Infrastruktur wie Stadien und Unterkünften, die

Abstimmung mit TV-Sendern als wichtige Olympia-Geldgeber oder die
Neu-Koordination von 80 000 freiwilligen Helfern.

Die anhaltende Kritik, das IOC habe viel zu spät auf die Corona-Krise
reagiert und durch sein Zögern die Gesundheit vieler Athleten
riskiert, wies Ringe-Chef Bach zurück. Man habe stets die aktuelle
Lage bewertet, die Hinweise der Weltgesundheitsorganisation und die
Wünsche der Olympia-Gastgeber berücksichtigt. «Japan war sehr
zuversichtlich, daran festzuhalten», sagte der IOC-Präsident und ließ

damit durchblicken, dass Tokio eine Verschiebung bis zuletzt
blockiert hatte. Hatte Bach Rücktrittsgedanken? «Nein», betonte er.

Der frühere Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, Clemens
Prokop, warf Bach indes Versagen vor. «Letzten Endes hat sich Thomas
Bach aus meiner Sicht als unfähig erwiesen, diese Krise zu meistern»,
sagte Prokop der «Mittelbayerischen Zeitung» (Mittwoch). Die
spanische Zeitung «Mundo Deportivo» kommentierte: «Das IOC hat nicht

nur eine großartige Chance verpasst, sein Image zu verbessern,
sondern auch gezeigt, dass es eine Institution bleibt, die mehr um
ihre eigenen Interessen als um alles andere bemüht ist.»

Die am Ende unvermeidliche Verschiebung war von vielen Athleten
herbeigesehnt worden, die nun von der Bürde befreit sind, unter
schwierigsten Bedingungen ihre Vorbereitungen auf die Sommerspiele
fortsetzen zu müssen. Bach bat die Sportlerinnen und Sportler, an
ihrem olympischen Traum festzuhalten und beim Notfallplan
mitzuhelfen. «Gebt uns allen Input und alle Informationen, die wir
brauchen, um all dies möglich zu machen», sagte der Würzburger.
Olympia im Jahr 2021 könne «ein Fest der Menschheit nach dem
Überstehen dieser beispiellosen Coronavirus-Krise» sein.