Saisonarbeiter und Toiletten - Wo kommen jetzt die Lebensmittel her? Von Anne-Beatrice Clasmann, dpa

Für Menschen in Dürregebieten mag das absurd klingen. Doch wenn das
Nudelregal schon vormittags leergeräumt ist, verunsichert das manche
in Deutschland. Tatsächlich setzt die momentane Situation Händler,
Spediteure und Kunden unter Stress.

Berlin (dpa) - Ein Frühling ohne Spargel, das wäre zwar bitter für
einige Landwirte, klingt aber in Zeiten der Corona-Pandemie erst
einmal wie ein Luxusproblem. Doch es geht eben nicht nur um Spargel
und Toilettenpapier. Vorübergehende Versorgungsengpässe bei einigen
Produkten sind im deutschen Lebensmittelhandel mittelfristig nicht
auszuschließen, je nachdem wie lange die Krise dauert.

DEUTSCHE LANDWIRTSCHAFT: Die Natur wartet nicht. Wenn Politiker und
Agrarfunktionäre nicht in den nächsten Tagen Strategien finden, wie
sich kurzfristig Ersatz für Zehntausende Saisonarbeitskräfte aus
Bulgarien, Rumänien, der Ukraine und anderen Staaten Osteuropas
organisieren lässt, wird auf einem Teil der für den Gemüseanbau in
Deutschland genutzten Flächen in diesem Sommer nichts zu ernten sein.
Denn durch die Reisebeschränkungen und Grenzkontrollen wurde die
Einreise nach Deutschland für diese Menschen in den vergangenen Tagen
zum Hürdenlauf. Jetzt hat das Bundesinnenministerium die bereits
vergangene Woche eingeführten Einreisebeschränkungen auch auf
Saisonarbeiter ausgedehnt.

In der Union gibt es daher inzwischen die Überlegung, Asylbewerber
für die Aufgabe zu gewinnen. Lokal organisieren sich zudem
verzweifelte Landwirte im Internet, um Aushilfen zu finden, die wegen
der Corona-Krise ihren normalen Job nicht ausüben können. Auch der
Bauernverband und das Bundeslandwirtschaftsministerium haben im
Internet Plattformen aufgesetzt, damit Arbeitswillige und Landwirte
zusammenfinden. Die Resonanz ist groß. «Jetzt sind vor allem auch die
Landwirte gefordert, die Hilfe in Anspruch zu nehmen», sagt Albert
Stegemann (CDU), Vorsitzender der Arbeitsgruppe Ernährung und
Landwirtschaft in der Unionsfraktion. Wer derzeit in Kurzarbeit sei
oder ohne Beschäftigung, könne sich so etwas dazuverdienen und
zugleich etwas für die Allgemeinheit leisten.

LOGISTIK UND TRANSPORT: Eingespielte Lieferketten sind teilweise
unterbrochen. Entweder weil die Produktion bestimmter Ausgangsstoffe
oder Waren in einem stark von der Corona-Krise betroffenen Gebiet
reduziert oder ganz eingestellt wurde. Oder weil niemand da ist, der
die Güter transportieren kann. Ein Grund: ein Teil der Spediteure und
Fahrer, die in normalen Zeiten Lastwagen quer durch Deutschland
steuern, stammt aus Polen und anderen Staaten Osteuropas. «Bei
unseren Subunternehmern fehlen zurzeit etwa 20 Prozent der Fahrer,
das sind Osteuropäer, die jetzt bei ihren Familien bleiben wollen,
berichtet Günther Jocher, Vorstand des Logistikunternehmens Group7
mit Hauptsitz in München. Persönlich habe er dafür Verständnis, «
auch
wenn es für uns die Situation verschärft».

Jocher sagt: «Durch die Kontrollen kommt es in Europa zu Wartezeiten
an den Grenzen von einem bis zwei Tagen.» Fahrer, die von Italien
nach Deutschland wollten, müssten sich verpflichten, in Österreich
nicht zu stoppen. Wer in diesen Zeiten Frachtraum bekommen wolle,
müsse flexibel reagieren, teilweise auch auf andere europäische
Flughäfen ausweichen. Denn es gibt insgesamt weniger Flüge.
Passagierflüge, die auch Gepäckraum Fracht mitnehmen, sind kaum noch
unterwegs. Für Importe aus China sei die Bahn eine Alternative, sagt
der Logistiker. Von Shanghai bis Duisburg oder Hamburg dauert das 16
bis 18 Tage.

In den vergangenen Wochen fehlten in Europa auch Container. Denn in
der Phase, in der in China die Wirtschaft heruntergefahren wurde,
waren viele Container in chinesischen Häfen blockiert. Dadurch kam
der Container-Kreislauf zwischen China und Europa ins Stocken.

Nachdem sich Bundeskanzlerin Angela Merkel vergangene Woche
persönlich eingeschaltet hatte, haben sich immerhin die Megastaus an
der Grenze zu Polen verkürzt, die durch kurzfristig angeordnete
polnische Kontrollen entstanden waren. Für polnische Lastwagenfahrer
gibt es jetzt Sonderregelungen, wenn sie zurück in die Heimat reisen.
Sie müssen nach einer Fahrt durch Deutschland nicht wie andere
Reisende in Polen 14 Tage lang in Quarantäne.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer versucht zusammen mit den
Bundesländern seit einigen Tagen, deutsche Speditionen und Fahrer als
Ersatz zu gewinnen, die normalerweise für Firmen unterwegs sind, die
wegen der Pandemie zurzeit nicht produzieren. Sie sollen jetzt
Lebensmittel und andere dringend benötigte Güter transportieren.

Doch es gibt auch noch andere praktische Probleme, mit denen sich
Lastwagenfahrer konfrontiert sehen. Entlang der Autobahnen waren
zuletzt viele einfache Hotels und Raststätten mit Toiletten und
Duschen geschlossen. Ein Sprecher der Autobahn Tank & Rast Gruppe
erklärt auf Anfrage, man prüfe mit eigenen Mitarbeitern die Hygiene
der sanitären Einrichtungen und schalte dort, wo es nötig sei,
zusätzliche Reinigungsfirmen ein. «Zweitens kontrollieren wir derzeit
noch einmal an unseren Standorte, dass eine Toilette und Dusche zur
Verfügung steht.»

STRESSTEST FÜR DEN HANDEL: Auch wenn ein Teil des Wirtschaftslebens

jetzt zum Stillstand gekommen ist - in Apotheken, Drogerien und rund
30 000 Lebensmittelgeschäften arbeiten die Menschen im Augenblick
unter enormem Druck. Drogeriemärkte suchen via Facebook Minijobber,
die helfen sollen, leergekaufte Regale aufzufüllen.
McDonalds-Mitarbeiter packen bei Aldi mit an. Die Versorgung sei
zurzeit gesichert, die Lager gut gefüllt, «auch wenn vielleicht nicht
mehr alle Sorten Nudeln» angeboten werden, sagt Christian Böttcher,
Sprecher des Bundesverbands des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH).

Einzelne Produkte sind aber jetzt schon in geringerer Stückzahl als
in normalen Zeiten verfügbar - auch aufgrund von hohen
Corona-Infektionsraten und Ausgangsbeschränkungen in bestimmten
Regionen, wo Nahrungsmittel angebaut oder hergestellt werden.