Afrika als tickende Zeitbombe: Das Virus greift dort die Ärmsten an Von Gioia Forster und Ralf E. Krüger, dpa

Nun breitet sich Covid-19 auch rasant in Afrika aus. Die Sorge ist
groß. Wenn schon Italien so mit der Epidemie zu kämpfen hat - wie
wird es erstmal in Ländern mit schlechter Hygiene, überfüllten Slums

und schwachen Gesundheitssystemen aussehen?

Johannesburg/Nairobi (dpa) - Home Office, social distancing, Hygiene:
Was in vielen Teilen der Welt im Kampf gegen die Corona-Krise
propagiert wird, wird in Afrika zum Kampf gegen Windmühlen. Im Alltag
ist für viele Afrikaner der Zugang zu fließendem Wasser nach wie vor
ein mühseliges Unterfangen - ein regelmäßiges Händewaschen wird da

illusorisch. Zwischen Sudan und Simbabwe leben viele Menschen oft von
der Hand in den Mund und haben kaum finanzielle Rücklagen für den
Vorrätekauf. Einige haben auch Vorerkrankungen oder leiden unter
Unterernährung. Viele Länder auf dem Kontinent gelten daher aus
Expertensicht als tickende Zeitbomben.

Lange blieb es um Covid-19 in Afrika ruhig. Die Hoffnung war groß,
dass die Krankheit den Kontinent nicht erreicht. Oder, dass sich das
Virus Sars-CoV-2 im wärmeren Klima schwerer tut. Doch die Illusion
ist zerbrochen. Inzwischen gibt es der Weltgesundheitsorganisation
(WHO) zufolge mehr als 1000 Fälle in mindestens 40 Ländern. «Aktuell

ist das weltweite humanitäre System nicht auf einen größeren Ausbruch

von COVID-19 in Krisengebieten und chronisch armen Regionen
vorbereitet», warnte jüngst der Generalsekretär von der Organisation

Care Deutschland, Karl-Otto Zentel. «Ärmere Länder mit einer extrem
schwachen medizinischen Infrastruktur müssen jetzt unterstützt
werden.»

Händewaschen gilt im Kampf gegen den neuartigen Coronavirus als das A
und O. Doch der Zugang zu Wasser und Seife ist in vielen
afrikanischen Ländern schwierig. Das ist nicht nur in Städten der
Fall. Das Händewaschen sei «vor allem in ländlichen Regionen, wo
Zugang zu Seife und Wasser ein Problem sein könnte, eine der
Herausforderungen», sagte Michel Yao, der Leiter der
Notfall-Programme der WHO in Afrika.

Auch social distancing ist in Afrika kaum wie in Europa umzusetzen.
«Die sozioökonomischen Umstände vieler Afrikaner, vor allem in den
Städten, macht social distancing (...) zu einer großen
Herausforderung», sagte die WHO-Chefin in Afrika, Matshidiso Moeti.
Viele Menschen leben auf engstem Raum. Etwa haben nach Schätzungen
von UN-Habitat im kenianischen Kibera, einem der größten städtischen

Slums der Welt, zwischen 500 000 und 700 000 Menschen ihr Zuhause.
Sie wohnen in kleinen Hütten, die sich oft etliche Familienmitglieder
teilen. Wenige haben fließendes Wasser, die wenigsten ihre eigene
Toilette.

Auch Home Office ist in Ländern mit einer großen informellen
Wirtschaft kaum möglich. Als Obstverkäuferin, Bauarbeiter oder
Handwerkerin von Zuhause aus arbeiten? So quetschen sich in Südafrika
täglich etwa 16 Millionen Menschen auf dem Weg zur Arbeit in die
vollgestopften Minibus-Taxen. Das morgendliche Sprayen an den
Taxiständen mit Desinfektionsmitteln hilft da nur wenig.

Obwohl viele Länder mit weitreichenden und drastischen Maßnahmen
versuchen, ihre Bevölkerung vor einer Infizierung zu schützen, reicht
ihre Infrastruktur bei einer hohen Zahl von Erkrankten kaum aus. An
allem fehlt es: Intensivbetten, Ärzte, Krankenschwestern, Atemgeräte.

Malawi etwa hält nach Angaben des nationalen «Medical Journals» in
seinen Hospitälern gerade mal eine zweistellige Zahl von
Notfallbetten vor für seine gut 18 Millionen Menschen starke
Bevölkerung vor. Andere Länder wie Kamerun oder Kongo haben Konflikte
auf ihrem Staatsgebiet, was die Gesundheitsvorsorge und die
Aufklärung über das Virus schwierig werden lässt. China hat zwar
einigen Staaten logistische Hilfe angeboten, kämpft aber selber mit
dem Virus und seinen Folgen.

Bei alledem ist die Sorge groß, dass die Menschen in Afrika womöglich
mehr gefährdet sind als die Bewohner anderer Regionen. «Wir haben
eine jüngere Bevölkerung als viele Länder, die von diesem Ausbruch
betroffen sind», sagte Moeti. «Aber uns muss klar sein, dass es unter
den jungen Menschen in Afrika in manchen Gegenden eine hohe HIV-Rate
gibt.» Diese Menschen könnten demnach wegen schwächerer Immunsystem
e
anfälliger sein. 2018 lebten weltweit der UN-Organisation UNAIDS
zufolge 37,9 Millionen Menschen mit HIV, davon waren rund 25,6
Millionen in Afrika südlich der Sahara. Zudem ist die Unterernährung
und die Zahl von Vorerkrankungen in Afrika sehr hoch.