Die Coron-Haar-Krise: Lässt Deutschland ohne Friseure wieder wachsen? Von Jonas-Erik Schmidt, dpa

Kein Theater, kein Fußball, keine Konzerte - und jetzt auch noch
schlecht frisiert. Das Coronavirus hat Deutschland voll im Griff,
auch die Friseure müssen schließen. Damit steht man zu Hause vor
einer Entscheidung: Langhaarfrisur oder Langhaarschneider.

Köln (dpa) - Frisuren sind auch immer ein Spiegel ihrer Zeit. Gilt
seit Jahrzehnten ein Kurzhaardiktat, wirkt eine lange Mähne besonders
rebellisch - so war es zum Beispiel in den 60ern. Auch jetzt erlebt
Deutschland historische Monate: Das Coronavirus hat das Land in einen
beispiellosen Krisenmodus versetzt. Und auch diesmal geht es - nach
vielen anderen, viel wichtigeren Gesundheitsfragen - irgendwie um die
Haare. Der Grund: Die Friseure sind dicht. Bund und Länder haben das
am Wochenende beschlossen.

Man mag einwenden, dass Stilfragen in Zeiten, in denen es um Leben
und Tod geht, wirklich nachrangig sind. Zumal in einer Phase, in der
viele Menschen noch nicht mal mehr für die Arbeit aus der Jogginghose
müssen, weil sie im Homeoffice arbeiten. Zugleich verändert es den
Alltag Millionen Deutscher, wenn sie ihr Haupthaar nicht mehr in
professionellen Händen wissen. Krise ist schon schlimm. Krise und
schlecht frisiert kann noch schlimmer sein.

Tragen wir bald alle Matte? Die beruhigende Antwort vorweg: Es wäre
zumindest kein großer Schaden, wenn die Haare ein bisschen
nachwachsen. «Es ist eine gewisse Ermüdung eingetreten bei Frisuren,
die an der Seite ausrasiert sind», stellt der Buchautor Bernhard
Roetzel fest. Er prognostiziert «generell eine Entwicklung hin zum
längeren Haar» - auch ohne Coronavirus.

Der Stilkritiker rät zugleich zu einer gewissen Gelassenheit. Er
befürchtet nicht, dass Deutschland nun kollektiv zerzaust. Das Haar
müsse ja auch erstmal wachsen. «Ausnahme sind höchstens die Frauen,
die sich die Haare jede Woche vom Friseur legen lassen. Aber das ist
eine aussterbende Tradition», sagt Roetzel. Ein kritischer Punkt
könnte nach etwa vier Wochen eintreten. «Vier Wochen ist ungefähr der

Rhythmus, in dem man mit einem Fassonschnitt zum Friseur geht.»

Kommt jetzt der Boom der Haarschneide-YouTube-Anleitungen? Es ist in
jedem Fall gefährlich, ohne jede Ahnung einfach los zu rasieren. Wer
mal bei einem schlechten Friseur war, weiß: Verschnittenes Haar
braucht wahnsinnig lange, bis es wieder rausgewachsen ist. Die Seite
instyle.de warnt bei ihren Tipps zum Selberschneiden daher in einem
Ton, der auch bei einer Bombenentschärfung passen würde: «Die
allererste Regel lautet eigentlich «don't do it» - lass es lieber!»

Zugleich hat man ja alles da: Schere, Kamm, oft Rasierer. Farbe lässt
sich noch kaufen. Und Deutschland hat eine gewisse Tradition, sich im
familiären Kreis die Haare zu stutzen. Oft gibt es eine Tante, die
das kann und am Ende jede Frisur als «frech» bezeichnet. «Es wird
vielleicht zu einem Revival des Do-it-yourself-Haarschnitts kommen,
also von Freunden oder der Familie», meint Experte Roetzel. Wobei
genau das in Coronazeiten nicht ratsam ist - die Zahl der physischen
Kontakte soll auf ein Minimum reduziert werden.

Also große Tristesse? Es kann aufs Gemüt schlagen. «Eine gute Frisur

unterstreicht die Kleidung und auch, dass man sich wohlfühlt», gibt
der Modeberater Andreas Rose aus Frankfurt/Main zu bedenken.
Andererseits könne man bei fortschreitendem Wuchs auch tricksen.
«Meine Nachbarin zum Beispiel hat sich die Haare geflochten, das habe
ich heute Morgen gesehen», sagt er. «Auch das ist schön.» Weitere
Ideen: Schicke Haarkämme («zum Beispiel mit Kristallen, Blumen oder
in Schildpatt-Optik»), Kopftücher («die sind auch wieder sehr
angesagt») oder ein Pferdeschwanz. Oder man versucht vom Haar
abzulenken - etwa mit schönem Make-up um die Augen.

An die schauerlichsten Prognosen glaubt auch Rose nicht. Auf die
Frage, ob in der Krise nicht auch der «Vokuhila» (vorne kurz, hinten
lang) wieder Thema werden könne, sagt er: «Hören Sie auf, wie
furchtbar! So etwas kommt nicht wieder, da lege ich mich fest!»