Corona-Krise in New York: Pause für die Stadt, die niemals schläft Von Christina Horsten, dpa

Schon rund 12 000 Menschen haben sich in New York mit dem Coronavirus
angesteckt, aber das dürfte erst der Anfang einer schweren Krise
sein. Die Millionenmetropole hat sich einen weitgehenden Stillstand
verordnet und leidet - aber der Optimismus bleibt ungebrochen.

New York (dpa) - Gelbe Osterglocken, weiße Schneeglöckchen,
lilafarbene Krokusse: Im New Yorker Central Park ist der Frühling
ausgebrochen. Die Sonne strahlt vom Himmel, Gitarrenmusik klingt über
die Wiesen. «Ich spiele hier, um die Anspannung etwas abzumildern»,
sagt der Straßenmusiker im schwarzen Mantel und lächelt erschöpft.
«Und natürlich, weil ich sonst überhaupt keine Möglichkeit mehr seh
e,
auch nur noch ein bisschen Geld zu verdienen.» 

Denn das hier ist kein normaler Frühlingstag in New Yorks
beliebtestem Park. Deutlich weniger Menschen als sonst sind unterwegs
und immer nur zu zweit, alleine oder mit Kindern. Viele tragen Masken
oder halten sich Schals vor das Gesicht. Alle halten Abstand und
weichen einander aus - so gut das in der am dichtesten besiedelten
Stadt der USA eben möglich ist.

Die Corona-Krise ist in New York angekommen - und das schnell und
drastisch: Am 1. März wurde das Virus erstmals in Manhattan
nachgewiesen, rund drei Wochen später liegt die Zahl der Fälle - auch
aufgrund sprunghaft angestiegener Tests - bereits bei mehr als 12
000. Das sind deutlich mehr als im Rest des Landes, wo allerdings
auch noch deutlich weniger getestet wird. Rund 125 Menschen sind in
der Stadt bereits an den Folgen einer Infektion mit dem Virus
gestorben.

Die drei Wochen seit dem ersten Fall haben New York - die Stadt, die
normalerweise sprichwörtlich niemals schläft - radikal verändert. Als

die Corona-Zahlen jeden Tag weiter in die Höhe kletterten,
verordneten Bürgermeister Bill de Blasio und Gouverneur Andrew Cuomo
der Stadt eine immer weiter verschärfte «Pause»: Inzwischen sind alle

Schulen, Universitäten, Fitnessstudios und «nicht-lebensnotwendigen»

Geschäfte zu. Am berühmten Broadway sind die Lichter aus, die
Luxus-Boutiquen an der Fifth Avenue sind geschlossen,
Kultur-Institutionen wie das Museum of Modern Art, die Metropolitan
Oper oder die Carnegie Hall dicht.

Weltbekannte Orte wie der Times Square, der Hauptbahnhof Grand
Central oder die Brooklyn Bridge, wo sich Millionen New Yorker sonst
täglich zwischen fotografierenden Touristen hindurch drängeln, liegen
oft fast menschenleer. Busse und U-Bahnen fahren, aber befördern nur
wenige Menschen, Spielplätze sind geöffnet, aber oft leer.

«Die Stadt leidet», sagt Sanel Huskanovic. «Die Energie ist weg.»
 Der
38-Jährige, der in Bosnien geboren ist und später als
Kriegsflüchtling nach Deutschland kam, betreibt normalerweise ein
Reisebüro vor allem für deutschsprachige Touristen ganz in der Nähe
des Times Square. Aber seit Mitte März ein Einreisestopp aus Europa
in die USA in Kraft trat und vor wenigen Tagen dann auch seine
letzten Gäste abreisten, vertreibt er sich die Zeit hauptsächlich mit
Fernsehen oder Seilspringen auf seiner Dachterrasse. Oder er läuft
durch die weitgehend leeren Straßen und nimmt Bilder und Videos auf,
die er online veröffentlicht. «Ich höre kein Hupen mehr in New York -

und wenn das Hupen weg ist, dann ist auch ein bisschen das Leben
rausgenommen.» 

Die Aussichten sind düster: Das Virus dürfte sich in den vergangenen
Wochen schon ausgiebig unter den Menschen der Metropole verbreitet
haben. Fast 30 Prozent der Tests kommen nach Angaben von Deborah
Birx, Coronavirus-Koordinatorin des Weißen Hauses, positiv zurück -
im Rest des Landes liegt dieser Schnitt bei 8 Prozent. Es werde nicht
mehr lange dauern, bis die Krankenhäuser nicht mehr in der Lage sein
würden, alle bedürftigen Corona-Patienten zu behandeln, warnt
Gouverneur Cuomo. Ein Lazarettschiff der US Navy ist auf dem Weg in
den Hafen der Stadt, mehrere Behelfs-Krankenhäuser sollen
eingerichtet werden.

Mit einer baldigen Besserung oder einer Wiedereröffnung der Schulen
noch in diesem Schuljahr rechnen nur noch die Wenigsten. «Der April
wird schlimmer als der März», sagte Bürgermeister de Blasio jüngst.

«Und ich fürchte, der Mai wird noch schlimmer als der April.» Das
Ausmaß der Auswirkungen auf die eigentlich boomende Wirtschaft der
Millionenmetropole will sich dieser Tage noch niemand wirklich
ausmalen. Werden all diese Geschäfte, die jetzt gerade die Türen
geschlossen und mancherorts sogar mit Pappe oder Sperrholz verrammelt
haben, wirklich wieder aufmachen? Was passiert mit all den Menschen,
die gerade ihre Jobs verlieren? Werden die Kultur- und
Tourismuseinrichtungen überleben? 

Aber das hier sei immer noch New York, sagt Reisebüroleiter
Huskanovic. «Und ich bin begeistert, wenn ich rausgehe und sehe, dass
die Menschen immer noch ein Lächeln im Gesicht haben und immer noch
zu Späßen aufgelegt sind.» Allein in den vergangenen 20 Jahren hat
die Millionenmetropole die Terroranschläge vom 11. September 2001,
die Finanzkrise von 2008 und 2012 den Wirbelsturm Sandy überstanden -
und ist immer gestärkt daraus hervorgegangen.

New York, geprägt von hart arbeitenden Einwanderern aus aller Welt,
lässt sich Laune, Optimismus und Hilfsbereitschaft nicht nehmen.
«Kopf hoch», steht auf einem Schild an einem Geschäft auf der Upper
East Side. «Vor uns liegt eine wunderbare Welt». Auf der Upper West
Side wird auf Hausstufen ein «selbstverständlich desinfiziertes»
Puzzle angeboten. «Wir brauchen jetzt doch alle Entertainment».
Einige Ecken weiter bietet ein kleiner Baumarkt jedem, der
Plastik-Handschuhe braucht und sie sich nicht leisten kann, ein Paar
gratis an. Wer kann, unterstützt Restaurants, Cafés, Kneipen und
Kultureinrichtungen mit dem Kauf von Gutscheinen - oder nimmt online
an deren Veranstaltungen teil.

«Die Stadt wird es überleben und nicht nur das, sie wird auch
irgendetwas Positives aus dieser Krise hervorbringen, da bin ich mir
sicher - irgendeine Idee, irgendein Business», sagt Reisebüroleiter
Huskanovic. «Wenn sich eine Stadt wiederfindet, dann ist das New
York.»