Holpriger Start ins Online-Zeitalter für Schulen in der Corona-Krise Von Christoph Dernbach, dpa

Etwa 32 500 Schulen in Deutschland sind zur Zeit geschlossen, um die
Verbreitung des Coronavirus einzudämmen. Das Internet soll nun dabei
helfen, den Schulbetrieb aufrecht zu erhalten. Dafür ist Deutschland
nur bedingt gerüstet. Es gibt aber auch positive Vorbilder.

Berlin (dpa) - Der Klassenraum der 8B an der
Freiherr-vom-Stein-Schule in Fulda ist seit Tagen verwaist. Der
normale Lehrbetrieb wurde eingestellt - so wie an den rund 32 500
allgemeinbildenden Schulen in Deutschland auch. Doch der Unterricht
an dem Fuldaer Gymnasium geht online weiter. Im Mathe-Unterricht
verweist Lehrer Uwe Rafler die Schüler nun auf seinen virtuellen
Kollegen Daniel Jung, um «Punktbestimmungen bei linearen Funktionen»
erläutern zu lassen. Jung ist auf YouTube mit seinem Mathe-Kanal ein
Star. 630 000 Abonnenten schauen hier regelmäßig vorbei.

Der Direktor der Freiherr-vom-Stein-Schule, Ulf Brüdigam, kann zwar
nicht auf eine große Online-Plattform aus einem Guss zurückgreifen.
Doch die Kombination aus einer Cloud-Lösung der Stadt Fulda, einem
Moodle-Server des Landes und den öffentlich zugänglichen Inhalten
sorgt dafür, dass die Schülerinnen und Schüler nicht auf das Lernen
verzichten müssen. «Wir bieten das auch als mobile App für das Handy

an, denn quasi alle Schülerinnen und Schüler verfügen über ein
Smartphone.» Beim Ansturm der ersten Tage waren die Download-Zeiten
zwar länger als sonst, doch immerhin gingen die Anlaufstellen nicht
in die Knie.

In Bayern dagegen wurde der Fernunterricht zeitweise komplett
lahmgelegt. Nach Schließung der Schulen ächzte die landesweite
Online-Plattform Mebis bereits unter der starken Nachfrage. Als dann
noch Cyberkriminelle die Plattform angriffen, stand das System
etliche Stunden lang still. Bayern gehört aber immerhin zu den
Ländern, die überhaupt eine halbwegs funktionierende Online-Plattform
haben. Allerdings ist Mebis nicht für einen flächendeckenden Ersatz
von geschlossenen Schulen ausgelegt. Und Experten verweisen darauf,
dass das System technisch inzwischen in die Jahre gekommen sei.

Viel schlechter dran sind die Schulen in Baden-Württemberg. Hier
wurden schätzungsweise 20 Millionen Euro in den Aufbau der
Lernplattform «ella» versenkt. Wegen technischer Mängel wurde das
System nicht in Betrieb genommen. Die Schulen im Südwesten müssen
sich nun mit einer improvisierten Lernplattform herumschlagen, die in
diesen Tagen auch nur schwer erreichbar ist.

Am Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Potsdam sieht man in dem
teilweise desolaten Zustand eine Chance. «Generell sind solche
Krisenzeiten oft auch Zeiten, wo notgedrungen Innovationen
vorankommen», sagt Institutsdirektor Prof. Christoph Meinel. Das HPI,
das der gemeinnützigen Stiftung des SAP-Mitbegründers Hasso Plattner
gehört, hat mit der «Schul-Cloud» eine moderne Lernplattform
entwickelt, die auch für den eigenen Lern- und Lehrbetrieb
(«openHPI») verwendet wird.

Die Schul-Cloud des HPI war ursprünglich dafür entwickelt worden, den
Unterricht mit interaktiven Medien und Lernmethoden zu bereichern.
Die Cloud ermöglicht den Kindern, Hausaufgaben digital zu empfangen
und einzureichen. Nun hat das HPI das Konzept aber erweitert, um
einen Fernunterricht zu ermöglichen. «Das ist kein 1:1-Ersatz für den

herkömmlichen Unterricht, aber inhaltlich kann man eine Menge
machen.» Die Kommunikation könne dabei in beide Richtungen laufen.
Dabei würden auch die geltenden Datenschutzregeln eingehalten.

Thüringen, Brandenburg und Niedersachsen nutzen die Schul-Cloud
bereits in Pilotprojekten, auch am renommierten Gymnasium Carolinum
in Neustrelitz (Mecklenburg-Vorpommern). Dort kommuniziert
Schulleiter Henry Tesch mit seinen Schülerinnen und Schülern auch
über Instagram. Auf längere Sicht werde es nicht ausreichen, den
Schülern über eine Lernplattform Aufgaben zu senden. Deshalb geht das
Carolinum nun einen Schritt weiter. Am Donnerstag wurde für die 12.
Jahrgangsstufe die erste Online-Stunde im Fach Geschichte abgehalten
- in Form eines Online-Webinars, bei dem sich rund 60 Teilnehmer auch
wie im analogen Klassenzimmer melden konnten. «Da haben auch Lehrer
zugeschaut. Das ist auch intern eine Ermutigungsstrategie gewesen»,
sagte Tesch.

Aus Sicht von HPI-Chef Meinel ist es nun aber zunächst einmal die
größte Herausforderung, auch die Schulen schnell anzuschließen, die
noch nie mit der Cloud gearbeitet haben. «Meist fehlen da digitale
Konzepte und das Grundwissen, wie digitale Lernsysteme im Unterricht
sinnvoll genutzt werden können.»

Ein Vorbild könnte die Alemannenschule in der 7000 Einwohner-Gemeinde
Wutöschingen im Landkreis Waldshut (Baden-Württemberg) sein, die im
vergangenen Jahr mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet wurde.
Die Gemeinschaftsschule koppelte sich schon vor Jahren vom Wirrwarr
der landeseigenen Ressourcen ab und setzt seit 2011 im Kampf um das
eigene Überleben auf die selbst entwickelte «Digitale Lernplattform»

(DiLer), die wiederum auf der offenen Software Joomla aufsetzt. DiLer
wird inzwischen auch anderen Schulen angeboten. Eine abgespeckte
«Community Edition» ohne Video-Chat-Funktion und technische
Dienstleistung ist frei. Eine «Partner Edition» kostet einmalig 1000
Euro sowie acht Euro pro Schüler und Jahr, um die Weiterentwicklung
des Systems zu finanzieren.

«Wir in Wutöschingen haben E-Learning äußerst konsequent und
nachhaltig eingeführt», sagt Lehrer Dieter Umlauf, der an der Schule
die Oberstufe leitet. «Während in anderen Schulen Ausnahmezustand
herrscht, geht bei uns der Betrieb recht reibungsfrei weiter.» An
seiner Schule verfügen alle Schülerinnen und Schüler über ein iPad.

«Wir kommunizieren im geschützten Raum über «DiLer». Hier nutzen
wir
«Talkie» zur Live-Kommunikation in Wort, Schrift und Bild, tauschen
Materialien aus, und der Unterricht geht weiter.»

Zum Online-Konzept der Schule, die auf herkömmliche Klassenzimmer
verzichtet, gehört aber nicht nur die reine Konnektivität. Es werden
auch neue Konzepte wie das «Challenge Based Learning» praktiziert,
gegen die sich manche konservative Lehrer noch mit Händen und Füßen
zur Wehr setzen. Bei diesem Konzept werden Ziele formuliert, aber
keine Lösungswege vorgegeben. «Die Schüler sind also gefordert, sich

selbst einzubringen und können so am ehesten ihre Fähigkeiten bei der
Lösung eines Problems einbringen», sagt Umlauf. Und dieses Konzept
funktioniert auch in Zeiten der Coronavirus-Krise.

In Halle in Sachsen Anhalt setzt man auf eine Kooperation mit dem
Unternehmen Sofatutor, einem der führenden Anbieter im
Online-Nachhilfemarkt. Über die Plattform von Sofatutor haben die
Schüler Zugriff auf Lernvideos von der 1. bis zur 12. Klasse,
interaktive Übungen, Arbeitsblätter sowie einen Chat, über den die
Schüler Unterstützung erhalten. In der Kultusministerkonferenz der
Bundesländer wurde dem Vernehmen nach schon darüber diskutiert, ob
man das System nicht im größeren Stil einführen soll.