Bund und Länder steuern mühsam durch die Corona-Krise Von Jörg Blank, Ruppert Mayr, Marco Hadem und Andreas Hoenig, dpa

Mit Schrecken verfolgen Kanzlerin und Ministerpräsidenten die
dramatische Entwicklung in Italien. Um das Deutschland zu ersparen,
verschärfen sie die Regeln. Angela Merkel muss dann auch noch selbst
Konsequenzen wegen des Coronavirus' ziehen.

Berlin (dpa) - Es hat ordentlich gekracht in der Telefonschalte der
Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin - am Ende kann Angela Merkel
aber wenigstens die Einigung auf ein gemeinsames «Grundgerüst»
verkünden. Ausdrücklich wiederholt sie ihren Appell an die Menschen
im Land, Solidarität zu zeigen und die zwischenmenschlichen Kontakte
so weit wie möglich herunter zu fahren. «Bitte ziehen Sie alle mit»,

sagt Merkel am Sonntag nach den zweieinhalbstündigen Beratungen in
Berlin in die Kameras. «Zeigen Sie Vernunft und Herz.»

Schon am Mittwoch, in ihrer ersten außerplanmäßigen Fernsehansprache

in fast 15 Jahren Regierungszeit, hatte Merkel die Mahnungen
verschärft: «Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.» Zugleich machte

sie klar: «Wir werden als Regierung stets neu prüfen, was sich wieder
korrigieren lässt, aber auch: was womöglich noch nötig ist.»

Diese Zeit halten Merkel und die Ministerpräsidenten auch angesichts
der sich dramatisch verschlimmernden Lage in Italien für gekommen.
Sie schränken die sozialen Kontakte weiter ein - diese sind ganz
offensichtlich die Wege der Übertragung des oft tödlichen Virus.

Maximal zwei Personen, die nicht miteinander verwandt sind oder
zusammenleben, dürfen sich in der Öffentlichkeit noch versammeln.
Familien oder Wohngemeinschaften sind ausgenommen. Restaurants werden
geschlossen - ausgenommen sind die Lieferung und Abholung von Speisen
für den Verzehr zuhause. Friseure müssen ebenfalls dicht machen, auch
Massagesalons oder Tattoo-Studios - überall dort ist die Nähe oder
der Körperkontakt besonders eng.

Das «Grundgerüst» der Maßnahmen der einzelnen Länder ähnele sic
h
sehr, sagt Merkel zu den erweiterten Maßnahmen. Manches werde in den
Ländern eben noch spezifisch für die jeweilige Situation geregelt -
die Kanzlerin verweist darauf, dass Länder wie das Saarland Grenzen
zu Hochrisikoregionen in Nachbarländern haben.

Danach, dass am Ende der Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen
in den Ländern dann doch einigermaßen eingerollt werden konnte, sah
es zu Beginn der Schalte nicht aus. Über den Verlauf des Streits gibt
es unterschiedliche Darstellungen.

Die eine besagt, Auslöser sei eine Kritik von NRW-Ministerpräsident
Armin Laschet am Krisenmanagement von CSU-Chef Markus Söder gewesen.
Laschet, der sich um den CDU-Vorsitz bemüht, habe Söder vorgehalten,
schon am Freitag und damit zwei Tage vor der Konferenz für Bayern
eine strenge Ausgangsbeschränkung beschlossen zu haben. Gegen eine
ausdrückliche Abmachung. Als Laschet ein eigenes Strategiepapier
vorgelegt habe, droht Söder damit, die Konferenz zu verlassen. Am
Ende bleibt der Bayer, auch weil Merkel vermittelt.

Glaubt man einer anderen Darstellung, so hat nicht Laschet, sondern
die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig
(SPD), Söder kritisiert. Sie habe ihm vorgehalten, er sei als Chef
der Ministerpräsidentenkonferenz doch eigentlich dafür zuständig,
eine einheitliche Linie zu organisieren. Kritik an Söder sei auch von
Hessens Regierungschef Volker Bouffier (CDU) und dessen
niedersächsischem Amtskollegen Stephan Weil (SPD) gekommen. Nach
dieser Darstellung soll Laschet sogar ausdrücklich Verständnis dafür

geäußert haben, dass Söder seine Regeln nicht ändern wolle.

Am Ende zeigt sich Söder dann doch leidlich zufrieden. «Jetzt haben
wir ähnliche Regelungen in ganz Deutschland. Wir sind als besonders
betroffenes Land auch stärker gefordert. Wir hätten keinen Tag länger

warten dürfen», sagt er der Deutschen Presse-Agentur. Und verteidigt
damit erneut seine Entscheidung, für die er von anderen Länderchefs
ausdrücklich gelobt wurde. Auch aus Sicht von Virologen und
Politikern aller Parteien in Bayern war der Entschluss richtig, mit
den Ausgangsbeschränkungen nicht bis zum Sonntag zu warten.

Die Nerven liegen blank bei den Ministerpräsidenten, heißt es nach
der Sitzung - und das ist auch verständlich. Der Streit zeigt aber
auch, dass Kanzlerin und Länderregierungschefs bis zu einem gewissen
Grad in der Zwickmühle sitzen. Schränken sie die Bürgerrechte
weiterhin massiv ein und provozieren den Unmut der - gesunden -
Bevölkerung? Oder setzen sie die Menschen der Gefahr aus, durch zu
späte drastische Beschränkungen der sozialen Kontakte immer mehr Tote
zu riskieren.

Vor allem mit massiven Wirtschaftshilfen in bislang ungekannter Höhe
versucht die schwarz-rote Koalition zu verhindern, dass in der Krise
Unternehmen Pleite gehen und Menschen massenhaft arbeitslos werden.
Deutschland wird wohl in eine Rezession rutschen - um fast jeden
Preis will die Regierung einen dauerhaften Absturz vermeiden. Das
kostet Milliarden. Schon an diesem Montag will das Kabinett die
Notfallregel bei der Schuldenbremse ziehen, um mit einer höheren
Neuverschuldung deutlich mehr finanziellen Spielraum für Maßnahmen zu
haben. Konkret geht es um ein Milliardenpaket für Kleinstunternehmen
und Solo-Selbstständige, bei denen Aufträge und Umsätze wegbrechen.


Das Kabinett wird am Montag allerdings ohne die physische Anwesenheit
von Merkel tagen müssen - sie wird wohl per Telefon- oder
Videokonferenz zugeschaltet. Nach ihrer Pressekonferenz wurde die
Kanzlerin davon unterrichtet, dass ein Arzt, bei dem sie am
Freitagnachmittag zu einer prophylaktischen Pneumokokken-Impfung war,
mittlerweile positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Merkel habe
daraufhin entschieden, sich unverzüglich in häusliche Quarantäne zu
begeben, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit. Doch er
versichert: «Auch aus der häuslichen Quarantäne wird die
Bundeskanzlerin ihren Dienstgeschäften nachgehen.»