Videoschalten statt Gipfeltreffen: Krisendiplomatie in Corona-Zeiten Von Michael Fischer, Christina Horsten und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

Diplomatie lebt von persönlichen Kontakten. Damit ist nun erstmal
Schluss. Das internationale Krisenmanagement in Sachen Coronavirus
findet per Videoschalte statt. Wie gut kann das funktionieren?

Berlin (dpa) - Die Bilanz klingt beeindruckend: In seinen ersten zwei
Jahren als Außenminister hat Heiko Maas 109 Reisen absolviert. Er war
in Japan, China und im Iran, in Libyen, Kolumbien und etliche Male in
den USA. Er hat in Mali deutsche Soldaten in der Wüste besucht und in
der kanadischen Arktis schmelzende Gletscher besichtigt. 553 782
Kilometer hat der SPD-Politiker dabei zurückgelegt. Das entspricht 13
Erdumrundungen.

Damit ist nun erstmal Schluss. Die weltweite Reisewarnung, die Maas
am vergangenen Dienstag wegen der Corona-Krise für mehr als 80
Millionen Deutsche ausgesprochen hat, gilt zwar nur für touristische
Reisen. Der Außenminister wendet sie aber auch auf seine eigenen
Dienstreisen an.

Der einstige Vielflieger ist nun an seinen Schreibtisch im
Auswärtigen Amt gefesselt. Reisen finden nur noch virtuell statt. Zum
Beispiel am vergangenen Freitag nach Südafrika. Per Video schaltete
er sich mit seiner Kollegin Naledi Pandor zusammen, um eine Sitzung
der «Binationalen Kommission» beider Länder zu leiten. Eigentlich
wollte er dafür in das 9000 Kilometer entfernte Pretoria fliegen.

Was für Maas gilt, gilt auch für die internationale Politik
insgesamt. Persönliche Kontakte, von denen die Diplomatie eigentlich
lebt, gibt es praktisch gar nicht mehr. Das Krisenmanagement in
Sachen Corona findet per Video statt. Alleine in der kommenden Woche
sind mehrere wichtige Konferenzen geplant.

G20

Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman hat die Staats- und
Regierungschefs der führenden Wirtschaftsmächte aller Kontinente zu
einer Krisenschalte eingeladen, die noch nicht genau terminiert ist.
Saudi-Arabien hat in diesem Jahr die Präsidentschaft in dem Format,
das 2008 aus der Finanzkrise hervorgegangen ist und damals eine
maßgebliche Rolle bei der Abfederung der Weltwirtschaft spielen
konnte. In der G20 sind mit China, den USA, Russland und der EU alle
Kräfte gebündelt, die für eine wirksame Krisenreaktion notwendig sind

- wenn man sich denn einigen kann.

G7

Die Gruppe führender westlicher Industrienationen wird in diesem Jahr
von US-Präsident Donald Trump geführt. Der hat den für Juni geplanten

Gipfel auf dem Landsitz Camp David bereits in eine Videokonferenz
umgewandelt. Am Mittwoch schalten sich auch die Außenminister
virtuell zusammen, die sich eigentlich in Pittsburgh treffen wollten.
Die G7 ist auch aus einer Krise hervorgegangen, der Ölkrise in den
1970er Jahren. Inzwischen steht sie aber im Schatten der G20.

UN

Im Hauptquartier der Vereinten Nationen im besonders stark vom
Coronavirus betroffenen New York arbeitet nur noch ein Bruchteil der
Tausenden Mitarbeiter - darunter UN-Generalsekretär António
Guterres. Das wichtigste Gremium, der UN-Sicherheitsrat, pausiert
derzeit. Aber wenn der Rat vielleicht schon in dieser Woche wieder
zusammenkommt - physisch oder digital - wird auch er seine Rolle bei
der globalen Virus-Bekämpfung finden müssen.

EU

Im Kampf gegen das Coronavirus stehen auch in Brüssel gewaltige
Entscheidungen an - sei es die Lockerung der Schuldenregeln, die
Unterstützung der Luftfahrtbranche oder die Umwidmung von EU-Mitteln.
Die Staats- und Regierungschefs der EU tagen in dieser Woche bereits
zum dritten Mal per Video. Nur können diese informellen Formate
eigentlich keine Beschlüsse fassen, sondern bestenfalls eine
politische Einigung finden. Der formale Beschluss muss dann im
schriftlichen Verfahren fallen, was mühsam und zäh sein kann.

Der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Volker
Perthes, kann der neuen Videodiplomatie trotzdem auch viel Positives
abgewinnen. «Was wir jetzt erleben, ist keine Entschleunigung,
sondern eine Konzentration auf das Wesentliche», sagte er. Die Gipfel
der G7, G20 und EU dauerten bisher in der Regel zwei Tage,
Nachtsitzungen teilweise inklusive. Jetzt wird alles auf wenige
Stunden komprimiert. Das erfordert eine gute Vorbereitung und eine
stark ausgeprägte Zielorientierung.

Das komme den «No-Nonsense-Politikern» entgegen, sagt Perthes. «Also

so Leuten wie Frau Merkel, die weniger inszenieren wollen, sondern
sagen: Lasst uns mal die wichtigen Dinge erledigen.» Allerdings gebe
es auch negative Effekte: «Es wird viel schwieriger, Kompromisse
vorzubereiten, weil Sie nicht mal eben jemanden zur Seite nehmen und
ihm tief in die Augen schauen können.» Die Vier-Augen-Gespräche, die

informellen Abendessen, sogenannte Kamingespräche, spielen bei
Gipfeltreffen eine zentrale Rolle. All das fällt jetzt weg.

Außerdem gibt es praktische Probleme: Wenn man in der australischen
Hauptstadt Canberra oder im japanischen Tokio zu Abend isst, sitzt
man in Washington oder Brasilia noch nicht einmal beim Frühstück.
Zwischen der östlichsten und der westlichen Hauptstadt der G20 sind
15 Stunden Zeitverschiebung.

Wenn die praktischen Probleme überwunden werden, glaubt Perthes,
könnte die Videodiplomatie aber auch nach der Krise stärker genutzt
werden. «Irgendjemandem wird auch einfallen, dass das klimafreundlich
ist, wenn man weniger Gipfeltreffen macht», sagt er. «Aber ganz auf
die Gipfel wird man nicht verzichten, vielleicht werden sie mit
geringerer Taktung stattfinden.»