Corona-Krise: Sorge vor mehr Gewalt gegen Kinder und Frauen Von Stella Venohr, dpa

Möglichst viel Zuhause zu bleiben ist aktuell als Schutzmaßnahme
gegen das Coronavirus gedacht. Vor allem für Frauen und Kinder in NRW
könnte das aber auch eine Bedrohung darstellen. Initiativen warnen
vor einem Anstieg von häuslicher Gewalt.

Düsseldorf (dpa/lnw) - Täglich zusammen im Haus. Dauernd beobachtet.
Keine Schule oder Arbeit. Keine Freunde zum Reden. Nur unter einem
Dach mit einem gewalttätigen Partner oder Elternteil. Viele Kinder
und Frauen in NRW sind bereits Opfer häuslicher Gewalt. Initiativen
warnen nun vor einem möglichen Anstieg durch die Corona-Krise.

«Wer sieht und hört misshandelte und sexuell missbrauchte Kinder
jetzt?», fragt Rainer Rettinger, Geschäftsführer des Deutschen
Kindervereins in Essen. Er befürchtet in den kommenden Wochen einen
Anstieg der Gewalt. «Die Viruskrise trifft besonders die Kinder von
Müttern und Vätern, die schon zuvor aufgrund von Sucht oder anderen
psychischen Störungen kaum in der Lage waren, den Bedürfnissen ihres
Kindes gerecht zu werden», warnt der Verein. Für überlastete Eltern
und gefährdete Kinder müsse es niederschwellige Hilfsangebote geben.

Der Kinderverein ruft zudem alle Menschen auf, Mitverantwortung für
Kinder zu übernehmen. «Wenn Sie Zweifel am Wohl eines Kindes in Ihrer
Umgebung haben, teilen Sie Ihre Sorgen dem Jugendamt mit. Das geht
auch anonym», so Rettinger.

Die Frauenhäuser in NRW bereiten sich ebenfalls auf einen Anstieg von
Fällen vor. «Wir müssen davon ausgehen, dass die häusliche Gewalt
zunehmen wird», sagt Claudia Fritsche von der Koordinierungsstelle
der Landesarbeitsgemeinschaft Autonomer Frauenhäuser NRW.
Gewalttätige Männer hätten keine Möglichkeit mehr, ihre Aggressione
n
am anderer Stelle auszuleben und ihre Frauen seien permanent auf
engstem Raum mit ihnen zusammen.

Besonders problematisch werde die Lage, sobald es die ersten
Infizierten in einzelnen Frauenhäusern geben sollte. Dann könnten die
Häuser keine neuen Frauen annehmen. «Das würde weniger Plätze für

schutzsuchende Frauen und gleichzeitig mehr Bedarf bedeuten», so
Fritsche. Es müsse nun nach kreativen Maßnahmen gesucht werden.
Fritsche schlägt vor, nicht gebuchte Hotels als Unterkunft für
schutzsuchende Frauen in Betracht zu ziehen.

Lorenz Bahr vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) betont, dass die
Strukturen und Arbeitsweisen der örtlichen Jugendämter auch in der
jetzigen Corona-Krise funktionierten. «Familien werden weiter
aufgesucht, unterstützt und Kinder in prekären Lagen bei einer
Kindeswohlgefährdung von den Ämtern auch in Obhut genommen», sagt
Bahr.

Für viele Frauen bedeutet die Isolierung nach außen nach den
Erfahrungen von Praktikern Bedrohung und Gewalt Zuhause. «Unsere
Erfahrungen mit Zeiten wie Weihnachten und Feiertagen zeigen, dass
die Fälle von Gewalt gegen Frauen steigen werden», sagt eine
Sprecherin der Frauenberatungsstelle Dortmund.

Die Beratungsstelle dehne daher die telefonischen Sprechzeiten so
weit wie möglich aus. Persönliche Beratungen seien jedoch komplett
eingestellt worden, um die Mitarbeiter und auch die schutzsuchenden
Frauen zu schützen. Einen Rat hat die Frauenberatungsstelle noch:
«Wenn Zuhause der Partner sitzt und die Frau sich bedroht fühlt und
keine Möglichkeit sieht, sich telefonisch zu melden, dann geht das in
einigen Beratungsstellen auch online per Chat.»

Unter «www.frauenberatungsstellen-nrw.de» seien alle Informationen
dazu zu finden. Im Ernstfall sollten die Frauen weiterhin die Polizei
rufen.

Auch aus der Politik kommen Sorgen vor einem Anstieg. «Zum Thema
Zunahme der häuslichen Gewalt, hat sich noch niemand so richtig
Gedanken gemacht», sagt Thomas Geisel (SPD), Oberbürgermeister von
Düsseldorf. «Zumindest nicht die, die dramatische Pressekonferenzen
machen und die Leute nach Hause schicken.»

Die Opferschutzbeauftragte des Landes NRW, Elisabeth Auchter-Mainz,
findet die Situation schwer einzuschätzen: «Es ist ein
Ausnahmezustand, den wir alle nicht kennen und daher sind die Folgen
nicht abzusehen.» Wenn auf Dauer Existenzen und Arbeitsplätze bedroht
seien, könne Gewalt zunehmen. Bislang gebe es dazu aber noch keine
Erkenntnisse.