Ausgehsperre droht - Land verschärft die Verbote wegen Sorglosen

Gebetsmühlenartig wiederholt Winfried Kretschmann die Forderung: Zum
Schutz vor dem Coronavirus sollten die Menschen zu Hause bleiben -
und unter sich. Aber nach wie vor stößt er auf viele taube Ohren. Nun
verschärft das Land die Regeln - und ist damit nicht allein.

Stuttgart (dpa/lsw) - Menschen in Baden-Württemberg müssen ihren
Alltag angesichts der Corona-Krise noch weiter einschränken, weil
einige nach Auffassung der Regierung immer noch sorglos gegen die
Vorgaben des Landes verstoßen. Als Reaktion auf die vergleichsweise
hohe Zahl von Uneinsichtigen verschärft die Landesregierung vom
Wochenende an die Einschränkungen für das öffentliche Leben weiter
und verbietet größere Menschenansammlungen auf öffentlichen Plätzen
.
Damit sollen die Infektionsketten durchbrochen und das Tempo der
Ansteckungen gedrosselt werden.

Das Land müsse zu diesen noch härteren Maßnahmen greifen, um die
Menschen von Treffen abzuhalten, sagte Ministerpräsident Winfried
Kretschmann (Grüne) am Freitag in Stuttgart. Er kritisierte die
Verstöße gegen die bereits einschneidenden Regelungen scharf: «Der
Großteil der Bevölkerung hält sich daran, aber es sind zu viele, die

sich nicht daran halten», sagte er. «Sie gefährden andere und sich
selbst», warf er ihnen vor. In einer im SWR übertragenen TV-Ansprache

drohte er am Freitag erneut mit härteren Maßnahmen und kündigte
an: «Der morgige Samstag wird dafür entscheidend sein.»

Nach der neuen Regelung sind Menschenansammlungen auf öffentlichen
Plätzen mit mehr als drei Personen nicht mehr erlaubt. Ausnahmen gebe
es für Familien und Paare. Gaststätten und Restaurants werden nach
Kretschmanns Worten von Samstag an schließen. Essen zum Mitnehmen sei
aber weiter erlaubt. Man müsse auf die Schwächsten in der
Gesellschaft Rücksicht nehmen, das seien die chronisch Kranken und
die Älteren. «Bleiben Sie daheim. Reduzieren Sie jetzt ihre
Kontakte», mahnte der Regierungschef. Verstöße zum Beispiel gegen das

neue Niederlassungsverbot können nach Angaben von Innenminister
Thomas Strobl (CDU) mit Bußgeldern bis zu 25 000 Euro und auch mit
mehrjährigen Haftstrafen geahndet werden.

In Baden-Württemberg sind inzwischen 17 mit dem Coronavirus
infizierte Menschen gestorben. Die Zahl der Todesfälle erhöhte sich
damit um sechs, wie das Gesundheitsministerium am Freitagabend
mitteilte. Die Zahl der Infektionen ist deutlich auf 3665 gestiegen.

Wegen des grassierenden Virus werden auch die Abschlussprüfungen an
den Schulen verschoben. Der Beginn aller zentralen schulischen
Abschlussprüfungen werde vom bislang vorgesehenen Termin nach den
Osterferien auf die Zeit ab dem 18. Mai 2020 verlegt, kündigte das
Kultusministerium an. «Mit dem Terminplan wollen wir ermöglichen,
dass die Schülerinnen und Schüler genügend Zeit für die Vorbereitun
g
haben», sagte Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU). «Oberstes
Ziel ist, dass alle faire Bedingungen für ihre Abschlussprüfungen
bekommen.» Die Entscheidung sei nach Gesprächen mit Fachleuten,
Schulverwaltung sowie Eltern- und Schülervertretern gefallen.

Die bisherigen Regelungen zu den Versammlungen gehen Eisenmann nicht
weit genug. Die CDU-Spitzenkandidatin fordert die sofortige Umsetzung
von Ausgangssperren. «Um die Ausbreitung des Coronavirus zu
verlangsamen, halte ich umgehende Ausgangssperren für zwingend»,
sagte sie der «Heilbronner Stimme» und dem «Mannheimer Morgen»
(Samstag). «Das Verhalten nicht weniger Menschen in den vergangenen
Tagen hat gezeigt, dass dieser drastische Schritt jetzt notwendig
ist.» Aus ihrer Sicht wäre es sinnvoll, wenn sich die Kanzlerin
darüber mit den Ministerpräsidenten früher als Sonntag abstimmten.
Bislang soll die Beratung am Sonntag sein.

Nach Eisenmanns Ansicht sollte die Wohnung nur noch aus wichtigen
Gründen verlassen werden dürfen - etwa wenn man zur Arbeit, zum Arzt,
zum Supermarkt oder zur Apotheke muss. Ausnahmen könnte es ihrer
Ansicht nach auch geben für Menschen, die Nachbarn helfen, mit dem
Hund raus müssen oder die Sport machen wollten - alleine oder mit den
Menschen, mit denen man zusammenlebt.

Zuvor hatte bereits die Stadt Freiburg wegen der Corona-Pandemie ein
sogenanntes Betretungsverbot ausgesprochen, das in etwa dem des
Landes entspricht. Es soll für öffentliche Orte gelten - von diesem
Samstag an bis zum 3. April. Wer sich im Freien aufhalten möchte,
dürfe das nur noch allein, zu zweit oder mit Menschen, die im eigenen
Haushalt lebten, so die Stadt.

Kretschmann will zudem Voraussetzungen und die Regelung einer
Ausgangssperre vorgreifend prüfen. Diese solle so schnell wie möglich
umgesetzt werden können, sollten die Ministerpräsidenten und die
Bundeskanzlerin am Sonntag zu dem Schluss kommen, dass dies
unabwendbar ist, hieß es am Freitag aus Regierungskreisen. Man setze
jedoch alles daran, eine solche Sperre zu vermeiden.

Mit drastischen Maßnahmen versuchen Bund und Land seit Tagen, die
Pandemie einzudämmen und die Infektionsketten zu unterbrechen. Die
Menschen sollen soweit wie möglich auf soziale Kontakte verzichten.
Doch angesichts des traumhaften Frühlingswetters missachten viele von
ihnen weiter die Einschränkungen. Sie sitzen in Cafés und Parks und
genießen die Sonne - und riskieren damit noch größere Einschränkung
en
ihrer Bewegungsfreiheit. Neben Baden-Württemberg reagierten am
Freitag unter anderem auch Bayern, Rheinland-Pfalz und das Saarland
mit weiteren Einschränkungen für Versammlungen.

Zunehmend bereiten Krise und Verbote auch den Unternehmen
existenzbedrohende Probleme: Mehr als 11 000 Firmen in
Baden-Württemberg haben in den vergangenen Tagen wegen der
Coronavirus-Krise Kurzarbeit angemeldet. Auch bundesweit berichtet
die Bundesagentur für Arbeit von einem starken Anstieg der Zahlen.
Der Südwesten gehöre aber zu den Regionen mit der stärksten
Nachfrage, hieß es am Freitag.

Die Anzeigen kämen nahezu aus allen Branchen, überwiegend aber aus
Transport und Logistik, dem Hotel- und Gaststättengewerbe sowie dem
Messebau und dem Tourismus. In Baden-Württemberg seien außerdem der
Metallbau und der Automobilbereich stark betroffen. Bundesweit haben
in dieser Woche rund 76 700 Betriebe Kurzarbeit angezeigt.

Zudem fährt der weltgrößte Autozulieferer Bosch seine Produktion in
Deutschland weitgehend herunter. Betroffen seien rund 35 Standorte
der Mobilitätssparte sowie diverse Zentralbereiche, teilte der
Konzern mit. Bosch reagiere damit auf die drastisch sinkende
Fahrzeugnachfrage insbesondere in Europa und die damit verbundenen
Produktionsstopps der Automobilhersteller. Der Hersteller von
Auto-Abgassystemen Boysen kündigte an, seine Werke in Deutschland,
Frankreich und Südafrika wegen der Pandemie für drei Wochen zu
schließen.