Kommt in Berlin die Ausgangssperre? Auch Rot-Rot-Grün ist uneins

Droht in Berlin eine Ausgangssperre? Die CDU fordert das vehement,
doch Rot-Rot-Grün ist gespalten. Vor allem bei den Linken gibt es
große Skepsis. Füre die SPD-Fraktion ist Eile geboten.

Berlin (dpa/bb) - Braucht Berlin eine Ausgangssperre oder verhalten
sich die Hauptstädter vernünftig genug, damit das nicht nötig ist?
Die Antworten auf solche drängenden Fragen angesichts der steigenden
Zahl der Infizierten mit dem neuartigen Coronavirus und des ersten
Todesfalls in Berlin fallen sehr unterschiedlich aus. Und das sogar
innerhalb des rot-rot-grünen Senats. Der Regierende Bürgermeister
Michael Müller (SPD) hat in den vergangenen Tagen immer wieder
erklärt, dass er sich für Ausgangssperren nicht begeistern kann, sie
aber auch nicht ausschließen will.

Währenddessen hat der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU)

am Freitag weitreichende Ausgangsbeschränkungen angekündigt, die ab
Samstag gelten sollen. Das Verlassen der eigenen Wohnung ist dort
dann nur noch bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt. Bundeskanzlerin
Angela Merkel (CDU) will sich am Sonntagabend mit den
Ministerpräsidenten der Länder in einer Telefonkonferenz beraten.
Dabei dürfte es auch ums Thema Ausgangssperren gehen.

Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) ist dafür, hat sich mit
ihrer Position in der Sondersitzung des Senats am Donnerstagabend
aber nicht durchsetzen können. Die Diskussion über das Thema wurde
nach Angaben von Teilnehmern ausgesprochen emotional geführt.

«Senatorin Kalayci hat dem Senat eine Ausgangssperre empfohlen, die
abgelehnt wurde», teilte ihre Sprecherin am Freitag mit. Die Linke in
Berlin sieht Ausgangssperren ausgesprochen kritisch: «Jedes andere
Mittel muss erst ausgeschöpft sein», sagte Landesvorsitzende Katina
Schubert der Deutschen Presse-Agentur am Freitag. Eine Ausgangssperre
bedeute keine verlängerten Schulferien. «Wir sperren dann Leute ein.»


Die Berliner SPD-Fraktion hat sich in der Diskussion gegen Tabus
ausgesprochen: «Die Situation ist so ernst, dass kein Instrument tabu
ist», teilte Fraktionsvorsitzender Raed Saleh am Freitagabend mit. Es
gehe nicht um politische Befindlichkeiten, sondern um die Gesundheit
der Bevölkerung. «Es geht um Leben und Tod. Von der italienischen
Krankenschwester bis zum italienischen Ministerpräsidenten hören wir,
bitte macht nicht unsere Fehler. Das müssen wir ernst nehmen.»

Die schnelle Ausbreitung des Virus in Deutschland und speziell auch
in Berlin zeige, dass Eile geboten sei, sagte Saleh. «Spätestens wenn
die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin am Wochenende zu dem
Schluss kommen, dass weitere Maßnahmen notwendig sind, dann müssen
wir in Berlin diese unverzüglich umsetzen.»

Linke und Grüne sehen vor allem die sozialen Folgen, wenn nicht
zuletzt Kinder wochenlang die Wohnung nicht mehr verlassen dürften.
Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) erklärte auf Nachfrage, der
Senat habe bereits deutliche Maßnahmen zur Einschränkung des
öffentlichen Lebens ergriffen und werde dafür sorgen, dass diese
Regeln auch durchgesetzt würden.

«Es geht um Gesundheitsschutz, aber auch um Freiheitsrechte und
soziale Folgen», so die Senatorin. «Eine Rutschbahn zu immer
drastischeren Maßnahmen kann es in einer aufgeklärten Demokratie
nicht geben». Pop steht Ausgangssperren ebenfalls kritisch gegenüber.
«Wer jetzt nur an sich denkt und Regeln missachtet, provoziert
einschneidende Maßnahmen. Ich appelliere deswegen an die Vernunft,
sich solidarisch zu verhalten und enge Kontakte zu vermeiden.»

Kultursenator Klaus Lederer (Linke) erklärte am Freitag, im Senat
bestehe Einigkeit, dass gemeinsam mit dem Bund und den anderen
Ländern jederzeit überprüft werden müsse, ob weitere Maßnahmen
erforderlich seien.

Schubert sprach sich dafür aus, dass Berlin unabhängig von den in
anderen Ländern getroffenen Maßnahmen entscheiden solle: «Die
Situation in Berlin ist eine andere als im Schwarzwald, das ist nicht
vergleichbar», sagte die Linke-Vorsitzende. «Wenn wir 3,7 Millionen
Menschen einsperren, ist das ein großer Eingriff.» Es dürfe nicht
entscheidend sein, wie eine Mehrheit der Ministerpräsidenten das
bewerte. «Wir müssen für Berlin entscheiden, was das Richtige ist.»


Auch der Regierende Bürgermeister sagte am Freitagmorgen im
rbb-Inforadio, eine Ausgangssperre sei «kein Allheilmittel». «Ich
appelliere immer noch sehr an die Vernunft jedes Einzelnen, jetzt mit
zu helfen. Es geht um unser aller Gesundheit», sagte Müller. «Viele
haben begriffen, worum es jetzt geht, dass man Kontakte so weit wie
möglich vermeidet.» Es gebe aber immer noch Menschen, «die eng
zusammenstehen, feiern, die zu Corona-Partys einladen».

Der CDU-Landesvorsitzende, Kai Wegner, forderte, eine Ausgangssperre
in Berlin dürfe im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus kein
Tabu sein. «Wir müssen heute Freiheiten einschränken, um morgen Leben

zu retten.» FDP-Fraktionsvorsitzender Sebastian Czaja kritisiert den
Senat: «Berlin verhält sich viel zu zögerlich, das muss der
Regierende Bürgermeister endlich anerkennen», sagte er. «Auf weitere

Entscheidung auf Bundesebene zu warten und damit ein weiteres
Wochenende mit vollen Parks, Cafés und Coronapartys zu riskieren,
wäre falsch.»

Auch aus Sicht von Berlins AfD-Fraktionschef Georg Pazderski geht es
nicht ohne Ausgangssperre, sollten die Menschen die notwendigen
Maßnahmen missachten. «Eine solche Entscheidung ist jedoch sehr
schwerwiegend und muss gut durchdacht werden.» Dabei sei es sinnvoll,
regionale Entwicklungen zu berücksichtigen. Noch hat sich der Senat
nicht für eine Ausgangssperre entschieden - und das dürfte angesichts
der schwer zu vereinbarenden Positionen bei Rot-Rot-Grün auch nicht
einfach sein. Aber der Druck nimmt zu.