Wenn der Pfarrer alleine betet Von Christos Pasvantis, dpa

Öffentliche Gottesdienste sind in Zeiten des Coronavirus verboten.
Immer mehr Gemeinden machen ihre Messen deshalb per Livestream
zugänglich. Allein in Kevelaer schauen täglich 600 000 Menschen zu.

Köln (dpa/lnw) - Die große Marienbasilika in Kevelaer ist nahezu
menschenleer, als Christoph Schwerhoff die Heilige Messe beginnt. Nur
eine Handvoll Mitarbeiter begleiten den Kaplan bei seinem
Gottesdienst am Freitagvormittag, darunter eine Sängerin und ein
Organist. Statt in die Gesichter von mehr als 1000 Gläubigen, die in
der Basilika Platz finden könnten, blickt Schwerhoff auf leere Reihen
- und in eine Kamera.

Wegen des grassierenden Coronavirus hat Nordrhein-Westfalen
Gottesdienste mit Publikum verboten. Doch auf die Messe verzichten
wollen die Menschen nicht. 600 000 Zuschauer verfolgen laut
Wallfahrtsleiter Gregor Kauling täglich per Livestream den Kevelaerer
Gottesdienst.

So viele wie in der Wallfahrtsgemeinde am Niederrhein, die in einem
ökumenischen Projekt täglich zwei Streams produziert, sind es an den
meisten anderen Orten nicht. Trotzdem haben in den vergangenen Tagen
zahlreiche Pfarreien, große und kleine Kirchen angekündigt, ihre
Gottesdienste ab sofort ins Netz zu übertragen - sofern sie das nicht
ohnehin schon getan haben.

Tägliche Streams gibt es unter anderem aus dem Kölner Dom, dem
St.-Paulus-Dom in Münster und der St.-Remigius-Kirche in Bonn. Der
katholische Sender domradio.de, der täglich aus Köln überträgt und

streamt, meldet, dass sich die Zugriffszahlen in dieser Woche
verfünffacht hätten. «Das ist schon Wahnsinn», sagt Sendersprecher

Martin Biallas, der bei der Morgenmesse am Donnerstag mehr als 200
Facebook-Kommentare gezählt hat.

Kaplan Schwerhoff redet in Kevelaer an diesem Freitag über die Liebe,
die Stärke gebe und durch Wände gehe. «Es ist wirklich ein komisches

Gefühl, die Menschen nicht zu sehen, zu denen man redet», sagt
Schwerhoff nach der Messe. «Aber es war irgendwie im Herzen eine
Verbindung da.» Dennoch schmerze ihn die aktuelle Situation:
«Eigentlich sind wir da, um Menschen zusammenzubringen, und das
kriegen wir gerade nicht hin.»

Um dieses Gemeinschaftsgefühl zumindest virtuell zu erzeugen, sind
die Kirchen kreativ. «Wir versuchen, den Kontakt auf neuen Wegen
herzustellen», sagt Rolf-Peter Reimann, der Internetbeauftragte der
Evangelischen Kirche im Rheinland. In der vergangenen Woche habe er
mit der spanischsprachigen Gemeinde in Duisburg mit 80 Menschen einen
WhatsApp-Gottesdienst über einen Gruppenchat geführt. «Nach dem Gebet

haben alle «Amen» getippt, auch das Vater Unser wurde gemeinsam
eingetippt.» Dass das zunächst komisch klingt, weiß Reimann. «Aber

das Gemeinschaftsgefühl, das wir vermitteln wollen, war da.» In Köln

können Zuschauer über die sozialen Netzwerke Fürbitten abschicken,
die in der Messe verlesen werden, vielerorts bieten Pfarrer
Video-Seelsorge an.

Auf das große Interesse in Corona-Zeiten war die Gemeinde in Kevelaer
nicht vorbereitet. «Als wir am Montag angefangen haben, sind unsere
Server erstmal zusammengebrochen», sagt Wallfahrtsleiter Kauling.
Über die zahlreichen Zuschauer sagt er: «Das ist momentan nicht
unsere übliche Klientel. Da sind sehr viele junge Leute dabei, die
gerade Halt und Orientierung brauchen.» Anke Lucht, Sprecherin des
Bistums Münster, sieht in Gottesdiensten eine «Kraftquelle»: «Das
gilt natürlich umso mehr, wenn der Alltag, so wie zurzeit, auf den
Kopf gestellt wird.»

In Zeiten, in denen die Kirchen jährlich Hunderttausende Mitglieder
verlieren, liegt die Zukunft der Gemeinden nach Einschätzung von
Rolf-Peter Reimann ohnehin im Internet. «Es ist ja im Moment so, dass
immer weniger Menschen in die Kirchen kommen», sagt er. «Mein Gefühl

ist aber auch, dass die Leute gerade merken, dass die Kirche zu ihnen
nach Hause kommt.»