Keine Schule, kein Freizeitsport - macht das Kinder krank? Von Thomas Strünkelnberg, dpa

Für viele Kinder dürfte es die Erfüllung eines Wunschtraums sein: Die

Schule fällt aus, dem Coronavirus sei Dank. Doch nach und nach macht
alles dicht - kein Sport, kein Schwimmen, keine Spielplätze. Werden
Kinder jetzt zu Stubenhockern? Und am Ende gar krank?

Hannover (dpa) - Die Kinder allein nach draußen schicken? Damit tun
sich viele Eltern schwer, vor allem in der Stadt, wenn kein Garten da
ist. Sie in der Wohnung behalten, während die Eltern vor dem Rechner
sitzen und zuhause arbeiten? Ein potenzieller Alptraum. Die Kleinen
vor dem Bildschirm parken? Vielleicht eine Lösung, aber sicher nicht
für lange. Darauf hoffen, dass selbst ein veritabler kleiner
Zappelphilipp für acht Stunden Ruhe gibt? Eine Utopie. Was also tun
mitten im Coronavirus-Stillstand, wenn Schulsport, Sportvereine,
Schwimmbäder, Spielplätze und sogar der Urlaub ausfallen?

Denn Kinder haben normalerweise einen ausgeprägten Bewegungsdrang,
wie Heinz Hilgers, Präsident des Kinderschutzbundes, sagt. Diesem
Drang setzt das sich ausbreitende Coronavirus enge Grenzen. Noch
schlimmer dürfte es werden, wenn tatsächlich Ausgangssperren verhängt

werden sollten.

Was geschieht mit Kindern, wenn ihre Bewegungsfreiheit im schlimmsten
Fall massiv beschnitten wird? «Kinder sind dauernd in Bewegung - zum
Leidwesen der Eltern», sagt Tilman Kaethner, Kinderarzt aus Nordenham
im Landkreis Wesermarsch und Landesvorsitzender des Berufsverbandes
der Kinder- und Jugendärzte. Geht das nicht, sei das zwar objektiv
nicht gesund, für ernste gesundheitliche Konsequenzen bei Kindern
dürfte aber die Zeit zu kurz sein. Jedenfalls, wenn man von sechs bis
acht Wochen Stillstand ausgehe.

Grundsätzlich sei es nicht gut, Kinder zu zwingen, im Haus zu
bleiben. Aber: «Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in einer
überschaubaren Zeit Schäden gibt», meint Kaethner. Die Muskeln von
Kindern bauten sich nicht so schnell ab: «Ein Kind bewegt sich per
se.»

Und: «Es heißt nicht: Kinder müssen zuhause bleiben», betont der
Düsseldorfer Kinderpsychiater Dirk Heimann. Zu überlegen wäre aus
seiner Sicht, ob es ein Weg wäre, dass feste Gruppen von drei bis
fünf Kindern sich treffen und gleichzeitig der Austausch mit anderen
Kindern deutlich reduziert wird. Auf diese Weise würden Kinder nicht
isoliert. «Eltern kennen ihre Kinder ja selbst am besten und merken,
wenn ihnen körperliche Auslastung fehlt», sagt Hilgers. «Wer die
Möglichkeit hat, kann den Wald und die Natur entdecken. Und auch in
der Wohnung lässt sich tanzen, toben und Verstecken spielen.»

Bei aller Sorge um die Kleinsten in der Coronakrise geht es nach
Heimanns Einschätzung auch um die Frage: Ist das jetzt der Stress der
Kinder oder der Erwachsenen? «Die Frage, wie ich Kinder beschäftigen
soll, hat sich bis vor wenigen Jahrzehnten keiner gestellt, weil
Kinder sich selbst beschäftigt haben», erklärt er. «Das Problem sin
d
überängstliche Erwachsene.» Er betont aber auch: Menschen verfügten

über eine hohe Anpassungsfähigkeit - das schließe Kinder ein.

Einer der Hauptstressoren sei ohnehin die Schule - für viele Kinder
vielleicht der bedeutendste, erklärt Heimann. Das merkten auch die
Kinderpsychiater: «Unsere Beanspruchung bricht in den Sommerferien
massiv ein.» Selbst mehr Reibungspunkte innerhalb der Familie machten
dies nicht wett.

In einer solchen Lage seien pragmatische Lösungen gefragt, urteilt
Kaethner. Eltern sollten mit ihren Kindern spielen, interessante
Dinge gemeinsam tun - dabei allerdings gebe es Grenzen: «Auch nach
sechs Wochen Schulferien geht das irgendwann nicht mehr», meint der
Kinderarzt - und wittert «intrafamiliäres Konfliktpotenzial». Dann
werde man weder soziale Medien noch das Fernsehen oder Konsolenspiele
mehr so strikt ablehnen können.

«Es ist nachvollziehbar, dass Kinder jetzt mehr Zeit vor dem
Bildschirm verbringen als zu normalen Zeiten», sagt auch Hilgers. Das
sei «für viele Eltern, die Homeoffice und Kinderbetreuung unter einen
Hut bringen müssen, wahrscheinlich ein echter Segen».

Jugendliche wiederum hätten nicht den Bewegungsdrang von Kindern,
erklärt Kinderarzt Kaethner. «Die sitzen dann vor dem Fernseher und
essen Chips.» Zu wenig Bewegung bedeute in der Altersgruppe also
vermutlich die Gefahr der Gewichtszunahme. Um ihre sozialen Kontakte
müsse man sich aber keine Sorgen machen, die fänden ohnehin
elektronisch über soziale Medien statt.

Und wie sehen Kinder den Corona-Stillstand? Der elfjährige Nicolas
aus Münster meint: «In der Schule macht es mehr Spaß.» Sein kleiner

Bruder Lukas (8) findet es nicht schlimm, nicht zur Schule zu müssen
- aber dass ein Kindergeburtstag ausfiel, stört ihn. Und er fürchtet
eine Ausgangssperre: «Dann würde ich mich sehr gefangen fühlen.»