«Bleib zuhause - ich geh für dich» Von Christoph Driessen, dpa

Eine Alleinerziehende, die weiß, wie wichtig ein Netzwerk ist. Ein
Lehrer, der jetzt sowieso Homeoffice macht. Ein Student, der selbst
eine kranke Mutter hat: Sie alle bieten Hilfe in Corona-Zeiten an.

Köln (dpa) - Fardad Hooghoughi trägt einen Mundschutz und Handschuhe,
als er die Klingel drückt. Dann stellt er eine Tasche mit
Lebensmitteln vor die Haustür und tritt ein paar Schritte zurück.
Eine ältere Frau öffnet, im Hintergrund sieht man ihren Mann. «Guten

Tag, Brigitte», sagt Hooghoughi. «Ich bringe die Einkäufe.»

Brigitte lächelt. Sie ist 77 und hat Vorerkrankungen. Ihr Mann Knut
hatte gerade eine Operation. Damit gehören beide zur
Corona-Risikogruppe. Sie sollen ihr Haus in Köln vorerst nach
Möglichkeit nicht mehr verlassen. Aber wie kommen sie dann an
Lebensmittel? «Wir hatten uns schon Gedanken gemacht», erzählt
Brigitte, die ihren Nachnamen lieber nicht nennen will. «Aber dann
meldete sich Fardad. Wir sind ihm sehr dankbar.»

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gesagt, es habe seit dem Zweiten
Weltkrieg keine Herausforderung mehr gegeben, bei der es so sehr auf
solidarisches Handeln angekommen sei wie jetzt in der Corona-Krise.
Werden die Bürger diese Herausforderung bewältigen? «Die Menschen
sind hin- und hergerissen zwischen Selbstschutz und Solidarität»,
glaubt der Psychologe und Bestsellerautor Stephan Grünewald («Wie
tickt Deutschland?»).

Was davon stärker durchschlage, werde man vielleicht erst in einigen
Monaten wissen. «Aber die vielen Angebote zur nachbarschaftlichen
Unterstützung sind auf jeden Fall schon mal ermutigend und berühren
auch.» Es gebe eine «Welle der Hilfsbereitschaft», konstatiert
Grünewald.

In ganz Deutschland haben sich zig tausend Menschen gemeldet, die
bereit sind, für andere einkaufen zu gehen, den Hund auszuführen oder
auf die Kinder aufzupassen. Die Angebote stehen auf Websites wie
nebenan.de. «Bleib zuhause - ich geh für dich», heißt es dort. Ein

Lehrer schreibt, er mache derzeit sowieso Home Office, wenn also
jemand zum Beispiel Hilfe beim Hochtragen benötige oder etwas auf die
Post geben müsse, dann: «Sagt Bescheid!»

Claudia Berlinger nimmt Einkaufswünsche auf und braust dann mit ihrer
Vespa los. «Ich bin Alleinerziehende und weiß, wie wichtig ein
Netzwerk ist, um in Krisenzeiten über die Runden zu kommen», erzählt

sie. Auch könne sie nachempfinden, dass es vielen schwer falle, um
Hilfe zu bitten.

Fardad Hooghoughi hat eine Helfergruppe für sein Heimatviertel
Köln-Merheim auf die Beine gestellt. Weil seine Mutter eine
Autoimmunkrankheit und Diabetes hat, war ihm sofort klar, was die
Isolierung für Ältere und Kranke bedeutet. Und da hat er gehandelt.
Der 30-Jährige mit iranischen Wurzeln hat nach der Hauptschule in
einem Paketzentrum im Flughafen gearbeitet, dann auf dem zweiten
Bildungsweg Abitur gemacht. Jetzt studiert er Jura.

Zurzeit übersteigt das Hilfsangebot oft noch die Nachfrage. «Viele
schreiben, dass sie zwar noch keine Hilfe brauchen, es Ihnen aber
Sicherheit und Geborgenheit gibt zu wissen, dass wir da sind»,
schildert etwa die evangelische Pfarrerin Miriam Haseleu. Einige
hätten die Angebote aber auch schon angenommen. «So schaffen wir es
gemeinsam durch die vor uns liegende Zeit», hofft sie.

Gut möglich, dass viele alte Menschen von den Angeboten gar nichts
mitbekommen, weil sie kein Internet haben. «Man muss sie auch von
Mund zu Mund propagieren, und dieser alte Zettelkasten beim
Einkaufen, der nützt auch nach wie vor», meint die Kölner
Oberbürgermeisterin Henriette Reker.

Fardad Hooghoughi hat den Vorteil, dass er die Leute in seinem
«Veedel» (Viertel) kennt, er ist dort geboren. Deshalb wusste er
auch, dass Brigitte und Knut womöglich Hilfe gebrauchen können. Eine
schlechte Nachricht hat er an diesem Tag dann aber doch für das
Ehepaar: «Das hier war leider der einzige Eintopf, den es gab!»