«Zehn Prozent Quarantäne-Rabatt» - Existenzängste wegen Corona Von Esra Ayari

Zwei junge Kölner wagen den Schritt in die Selbstständigkeit. Dann
kommt Corona und eventuell das Aus? Eine freie Autorin verliert ihre
Aufträge und ein Gastronom fürchtet sich vor Hartz 4.

Köln (dpa/lnw) - Die hölzernen Hocker stehen auf den Tischen, die
Türen bleiben zu: Das «MJ Sushi» ist ein Restaurant, in dem man nicht

mehr essen darf. Das Asia-Lokal befindet sich in der Kölner Südstadt
und wird geführt von Sinan Bartsch (29) und Oliver Noster (28). Die
zwei jungen Kölner haben das Restaurant zum ersten März übernommen,
oder wie Bartsch es zynisch lächelnd nennt: «zum Coronastart».

Wegen der Corona-Pandemie ist der Verzehr in Restaurants in
Nordrhein-Westfalen nicht mehr gestattet. Lieferungen und
take-away-Bestellungen sind noch möglich - und «für uns nötig», w
ie
Bartsch schildert. Noch könne er keine konkrete Bilanz ziehen, aber
es habe einen «Einbruch von fast 70 Prozent» gegeben, teilt Bartsch
mit. Das hänge hauptsächlich mit Corona zusammen, außerdem sei das
Restaurant wegen des Inhaberwechsels fürs Erste auch aus dem Pool der
Lieferdienste von Lieferando rausgenommen worden. Eine wichtige
Einnahmequelle - vor allem in Zeiten von Corona.

Normalerweise arbeiten im Restaurant neben den zwei Geschäftsführern
noch sieben Menschen. Drei in der Küche und vier als Fahrer. Die
Fahrer fahren nicht mehr und in der Küche stehe nur noch ein Koch.
Wenn mal eine Bestellung reinkomme, übernehmen die jungen Chefs die
Lieferung, auch Freunde haben mal ausgeholfen.

Mithilfe von sozialen Medien versuchen sie, an Kunden zu kommen.
«Zehn Prozent Quarantäne-Rabatt» bekommen Bartsch zufolge alle, die
jetzt bestellen. «Da wir wissen, dass dieser Ausnahmezustand uns ALLE
betrifft», so steht es auf einem Zettel in den Fenstern des
geschlossenen Ladenlokals.

Yasmin M`Barek ist freie Autorin und sitzt ein paar Straßen weiter in
ihrem Zimmer. «Mir sind plötzlich 2500 Euro flöten gegangen»,
berichtet sie. Die 20-Jährige sitzt regelmäßig auf Podien und
Tagungen, war kurz vor dem Ausbruch der Pandemie für ein Praktikum
nach Berlin gezogen. Plötzlich sei alles schnell gegangen, der
Praktikumsplatz in der Redaktion weg, alle Aufträge weg, alle
Veranstaltungen abgesagt.

Jetzt sei es schwer, neue Aufträge an Land zu ziehen. «Solange du
keine Corona-Expertin bist, bekommst du nichts», erklärt die junge
Journalistik-Studentin. Jetzt versuche sie zwar immer, neue Ideen
einzureichen, bekomme aber selten eine Antwort. Zwei Monate könne sie
noch von Ihrem Ersparten leben, danach werde es knapp. Es sei nicht
die Zeit, wählerisch zu sein: «Ich nehme, was ich bekomme».

Der Düsseldorfer Gastronom Daniel Semmelroth (45) musste bereits drei
von vier Mitarbeitern betriebsbedingt kündigen. «60 Prozent vom
Arbeitsamt sind besser als ein leeres Versprechen von mir», sagt
Semmelroth. Die Katastrophe setzte bei Semmelroth schon vor drei
Wochen ein: «Ich habe 65 Prozent des Umsatzes mit Catering gemacht.
Das ist alles weggebrochen. Alle Veranstaltungen wurden abgesagt.»

Was ihm blieb, war seine Bar in der NRW-Kunstsammlung K 21 in
Düsseldorf - bis vergangenes Wochenende. Nun sind die Museen zu - und
die Bar. Auf unbestimmte Zeit. «Es war schlimm - und hat sich dann
noch zugespitzt.»

Jetzt prüft Semmelroth, ob die in Aussicht gestellten Hilfstöpfe sein
Unternehmen retten können: «Ich habe mit meiner Hausbank gesprochen,
aber die genauen Bedingungen kommen erst Montag raus.»

Der 45-Jährige hat auch mit seinem Steuerberater gesprochen: «Als
letztes habe ich ihn gefragt, was mit mir ist, wenn die Situation so
bleibt. Die Antwort war: «Hartz IV».» Seitdem mache er sich keine
Illusionen: «Wir stehen nicht nur vor dem unternehmerischen, sondern
auch vor dem privaten Ruin. Aber es ist eine Katastrophe für uns
alle», sagt er.

Auch der Kölner Restaurant-Betreiber Bartsch und sein
Geschäftspartner schauen sich nach Hilfsmöglichkeiten um. Vor der
Übernahme habe er der Belegschaft versichert, sie weiterhin als
Angestellte zu beschäftigen. Doch es kam alles anders. Nach einem
Gespräch mit dem Steuerberater wolle er jetzt die Mitarbeiter
«schweren Herzens» als Kurzarbeiter anmelden.

Die Übernahme des Lokals habe etwa ein Jahr gedauert. Um dem Laden
einen ganz neuen Schliff zu geben, haben die zwei jungen Unternehmer
jeweils 60 000 Euro Kredit aufgenommen - es sollte ein Neuanfang
sein. Zwar weiß Bartsch, dass er als Selbstständiger zu vergünstigten

Umständen einen weiteren Kredit bekommen könnte, aber: «Ich lebe ja
schon vom Geld, das mir eigentlich nicht gehört». Weitere
Verschuldungen will er verhindern.

Ein Teil des Kredits sei für den Umbau geplant gewesen und der Rest
als Puffer für den äußersten Notfall. «Jetzt garantiert der Puffer

unser Überleben», erzählt Bartsch. Dass der äußerste Notfall scho
n
rund zwei Wochen nach dem Schritt in die Selbstständigkeit kommen
könnte, habe er niemals gedacht. «Das ist einfach nur krank», fügt

der 29-Jährige hinzu.