«Es geht um Menschenleben» - Polizeikontrollen gegen das Virus Von Nico Pointner, dpa

Das Coronavirus geht um in Deutschland - und bei vielen die Angst.
Aber längst nicht bei allen: Immer noch halten zu wenige Menschen den
nötigen Abstand zueinander - und genießen stattdessen die Sonne im
Park. Die Polizei muss durchgreifen.

Stuttgart (dpa/lsw) - So richtig verstehen kann Alisa Scetinina das
alles nicht. Sie steht mitten in der Parkanlage Leipziger Platz im
Stuttgarter Westen, die Arme vor der Brust verschränkt. Es hat 19
Grad, die Sonne scheint, die Vögel zwitschern. Frühling in Stuttgart,
wie er schöner nicht sein könnte. Und dennoch muss Alisa Scetinina
nun gehen. Mehrere uniformierte Polizisten stehen vor ihr und warten,
dass sie mit ihren Freunden die Decken, Bücher und Getränke im Gras
zusammenräumt. Drei Stunden lag sie auf der Wiese, jetzt soll sie
zurück nach Hause in ihre WG. «Aber man braucht doch auch die Sonne,
um gesund zu bleiben», sagt sie. Da hilft auch kein freundlicher
Protest. Alisa Scetinina packt zusammen.

Das Coronavirus geht um in Deutschland - und damit bei vielen auch
die Angst. Mit drastischen Maßnahmen versucht der Staat, die Pandemie
einzudämmen und die Infektionsketten zu unterbrechen. Die Menschen
sollen soweit wie möglich auf soziale Kontakte verzichten. Doch
angesichts des traumhaften Frühlingswetters missachten viele Menschen
im Land weiterhin die Einschränkungen. Sie sitzen in Cafés und in
Parks und genießen die Sonne - und riskieren damit noch größere
Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann droht am Donnerstag bei einer
Sondersitzung des Landtags mit einer Ausgangssperre. Die wolle man
zwar vermeiden, sagt der Grünen-Politiker. Aber wenn sich die Bürger
nicht an die neuen Regelungen hielten, werde das Ausgangsverbot
kommen. «Wenn nicht alle ihr Verhalten grundlegend umstellen, dann
kommen wir um härtere Maßnahmen und Sanktionen nicht herum.»

Die Sicherheitsbehörden stoßen bislang auf viel Unvernunft. Die
Freiburger Polizei muss in der Nacht zum Donnerstag mehrfach wegen
sogenannter Corona-Partys ausrücken. Vor allem Jugendliche und
Heranwachsende hätten sich zum Beispiel auf Grill- und Spielplätzen
getroffen, teilte das Präsidium mit. «Die Polizei wird hart
durchgreifen», droht Innenminister Thomas Strobl (CDU) am Donnerstag.
Verstöße gegen die neue Verordnung seien «keine Kinkerlitzchen,
sondern eine rechtswidrige Tat».

Im baden-württembergischen Innenministerium gibt es laut einem
Sprecher «erste Überlegungen», wie eine Ausgangssperre im Land
gehandhabt werden könnte. Die einzelnen Verwaltungsbereiche «denken
über den nächsten Schritt nach», sagt ein Sprecher am Donnerstag. «
Im
Moment hat man nicht den Eindruck, dass alle verstanden haben, was
die Stunde geschlagen hat.» Immer noch hielten nur wenige Menschen
die nötige Distanz in der Öffentlichkeit.

Deshalb schreitet die Polizei auch ein. Am Donnerstag wollen sie
zuerst auf dem Stuttgarter Marienplatz Kontrollen durchführen. Doch
dort ist im Vergleich zum Wochenende nicht mehr viel los. Dann ziehen
sie um zur Parkanlage Leipziger Platz. Hier genießen mehrere Dutzend
Stuttgarter die Sonne am späten Nachmittag, sie sitzen in kleineren
Grüppchen zusammen auf ihren Decken, trinken Bier, unterhalten sich.
Mal zwei, mal vier, mal fünf Personen.

Doch um 16.20 Uhr marschieren ein Dutzend uniformierte Polizeibeamte
ein und unterbrechen die Idylle. «Wir möchten Sie bitten, den Platz
zu räumen und nach Hause zu gehen», sagt ein Beamter freundlich zu
zwei jungen Frauen, die mit ihren Kleinkindern auf der Decke sitzen.
«Menschenansammlungen sind nicht gestattet.» Eine Mutter reagiert mit
Unverständnis. «Das heißt, ich darf nicht mehr mit meinen Kindern in

den Park?», fragt sie. Widerwillig packt sie zusammen.

Ein paar Meter weiter räumt Alisa Scetinina mit ihren Freunden das
Feld. Die 25-jährige Balletttänzerin ist von der Corona-Krise gleich
in mehrfacher Hinsicht getroffen. Sie arbeitet als freiberufliche
Künstlerin - und wegen abgesagter Veranstaltungen brechen ihr
Auftritte weg. «Alle meine Gigs sind abgesagt», erzählt sie. Außerd
em
arbeite sie als Aushilfe in der Gastronomie - auch auf diesen Erwerb
muss sie nun verzichten. Nun auch noch das Freizeitvergnügen im Park.
«Das ist das einzig schöne grüne Eck im Stuttgarter Westen», sagt
sie. Sie nehme die Pandemie zwar ernst. Aber es sei doch komisch,
dass sie den Park verlassen müssten, aber Restaurants weiter geöffnet
seien. Persönlich mache sie sich keine Sorgen, sich anzustecken. «Ich
habe ein starkes Immunsystem.»

«Wo Menschen zusammenkommen, müssen wir leider einschreiten», erklä
rt
Einsatzleiter Carsten Höfler nach der Aktion im Park. Das mache die
Polizei auch nicht gerne. Aber die Lage sei ernst. Viele Menschen
hätten das immer noch nicht verinnerlicht. «Die Gefahr ist surreal -
man kann sie nicht riechen, nicht schmecken. Das ist vielleicht der
Trugschluss» sagt Höfler. «Es geht um die Rettung von Menschenleben.
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