«Wir müssen alle Opfer bringen» - Sachsen fährt wegen Corona runter Von Christiane Raatz, Theresa Held und Birgit Zimmermann, dpa

Seit Donnerstag ist auch in Sachsen das öffentliche Leben auf ein
Minimum beschränkt. Läden, Schwimmbäder und Spielplätze sind dicht.

Die Polizei kontrolliert - und zieht zunächst ein positives Fazit.

Dresden/Leipzig (dpa/sn) - Humphrey Bogart trägt in Leipzig jetzt
Mundschutz. Die etwa einen Meter hohe Figur steht vor der
«Sächsischen Pfeifenstube». Inhaber Lutz Merker will seine Kunden mit

dem Accessoire darauf aufmerksam machen, dass jetzt alle Rücksicht
nehmen müssen. «Es muss jetzt einfach rein in die Köpfe, dass man
Abstand halten muss», sagt der 60-Jährige. Sein Geschäft für Taba
k
und Branntwein darf er öffnen, es zähle als Lebensmittelhandel. Für
viele andere Läden, Schwimmbäder und Spielplätze gilt in Sachsen aber

seit Donnerstag: Wegen Coronavirus geschlossen.

Die Allgemeinverfügung des Freistaates, die das öffentliche Leben auf
ein Minimum runterregelt, ist seit Mitternacht in Kraft. «Wir haben
uns zu drastischen Maßnahmen durchgerungen, die das öffentliche Leben
auf ein Minimum reduzieren werden. Das ist nötig, um die Verbreitung
des Virus zu bremsen», hatte Gesundheitsministerin Petra Köpping
(SPD) die Maßnahme begründet. Eine Ausgangssperre wie in Italien,
Frankreich und anderen europäischen Ländern ist das allerdings noch
nicht. Noch setzen die Behörden auf Freiwilligkeit und Vernunft.

Tatsächlich sind die Straßen in Leipzig am Donnerstag ziemlich leer.
Zahlreiche Geschäfte informieren mit Zetteln, dass vorläufig nichts
mehr geht. Gleichzeitig bitten viele Läden, dass die Kunden von ihren
Online-Shops Gebrauch machen mögen. Die Polizei kontrolliert die
Einhaltung der neuen Vorschriften. «Tatsächlich funktioniert es bis
jetzt gut. Die Menschen zeigen ein gewisses Verständnis», sagt
Sprecher Olaf Hoppe.

Damit sich nicht wie in den sonnigen Tagen zuvor Kinder in Scharen
auf den Spielplätzen tummeln, hat die Stadt Leipzig sie mit
rot-weißem Flatterband abgesperrt. Zudem verschärft die Kommune am
Donnerstag die Regeln für private Zusammenkünfte: Mehr als 20
Personen dürfen es jetzt nicht mehr sein. Auch die Stadt Freital
teilt mit, dass sie ihre Spielplätze ab Freitag absperren werde.

Anders sieht es am Donnerstag in Dresden aus. Nicht nur auf dem
Wochenmarkt auf dem Alaunpark im Dresdner Ausgehviertel Neustadt
herrscht reger Andrang. Auf dem Spielplatz ein paar Hundert Meter
weiter, haben sich etwa ein Dutzend Eltern versammelt, zahlreiche
Kinder klettern auf Seilen, krabbeln im Sand oder spielen Fußball.
«Ich wusste nichts von einem Spielplatz-Verbot», sagte ein Vater, der
mit seiner Tochter das sonnige Wetter auf einer Parkbank genießt.
«Dann muss ich das vielleicht nochmal überdenken.»

Am Rande des Spielplatzes stehen in kleiner Runde Mütter und Väter
und unterhalten sich angeregt. «Wir halten Abstand und stehen zwei
Meter auseinander», sagt eine Dresdnerin. Bedenken, ihre Kinder
zusammen spielen zu lassen, haben sie nicht. «Der Spielplatz ist ja
nicht abgesperrt und frei zugänglich, das finde ich ein bisschen
affig», sagt eine junge Mama. Solange keine Ausgangssperre kommt,
wollen sie auf den Spielplatz gehen, ist die einhellige Meinung. Und
wenn ein Ausgehverbot kommt? «Dann gehen wir zum Spielen eben in den
Hinterhof.»

Gesundheitsministerin Köpping ruft die Sachsen erneut dazu auf,
soziale Kontakte möglichst zu vermeiden. «Ich bin teilweise
enttäuscht über das, was in Sachsen abgeht», sagt die SPD-Politiker
in
am Donnerstag. Viele junge Menschen würden weiterhin Partys feiern,
zahlreiche Leute seien angesichts des schönen Wetters gemeinsam in
Parks oder am Elbufer unterwegs. Köpping kündigt verstärkte
Kontrollen von Polizei und Ordnungsämtern an.

In Leipzig scheint es so, dass die Leute sich Mühe geben und Abstand
halten. Sogar die Sonnenplätze der Cafés auf der Kneipenmeile rund um
die Karl-Heine-Straße im Leipziger Westen bleiben frei. «Wir
verkaufen seit Montag unseren Kaffee nur noch an der Tür», erzählt
Larissa Schneider von der Cafébar «Monoloco». Die fünf Tische, die

mit Sicherheitsabstand auf der Straße aufgebaut sind, würden dennoch
kaum genutzt. Die meisten Leute nähmen den Kaffee mit. «Die
Stammkunden sind dankbar, dass wir da sind», beobachtet Schneider.
Sie wartet auf ein Signal aus der Politik: «Was ist mit uns kleinen
Fischen?», fragt sie. Wie es weitergeht mit dem Café - Schneider weiß

es nicht.

Tabakhändler Merker blickt ebenfalls einer wirtschaftlich ungewissen
Zeit entgegen. «Ich hoffe, dass ich wenigstens meine Miete
zusammenkriege und den Lohn», sagt der 60-Jährige. Aber er fügt
hinzu: «Opfer müssen wir alle bringen.» Und mit der Sonderausstattu
ng
für Humphrey Bogart habe es schon einmal geklappt. Als er zwei Jahre
lang eine Straßenbaustelle vor seinem Geschäft hatte, habe er der
Figur einen Bauarbeiterhelm aufgesetzt. Merker holt ihn vom Regal.
Auf dem gelben Helm steht: «Alles wird gut.»