Regierung erwartet 2,15 Millionen Kurzarbeiter

Unternehmen fahren bundesweit herunter - der Ausweg für die
Beschäftigten ist vielfach Kurzarbeit. Die Regierung erwartet
millionenfache Nutzung. Doch was tun, wenn das Kurzarbeitergeld zu
wenig ist?

Berlin (dpa) - Arbeitnehmer sind nach Einschätzung der
Bundesregierung millionenfach auf Kurzarbeitergeld wegen der
Coronakrise angewiesen. Streit gab es am Donnerstagabend darüber, ob
Kurzarbeitergeld von den Unternehmen aufgestockt werden soll.

«Es wird von 2,15 Millionen Fällen des Bezugs von konjunkturellem
Kurzarbeitergeld ausgegangen», heißt es in einem entsprechenden
Verordnungsentwurf des Bundesarbeitsministeriums, der der Deutschen
Presse-Agentur in Berlin vorliegt. Das «Handelsblatt» berichtete
zuvor darüber.

Das Ministerium geht von 1,15 Millionen zusätzlichen Fällen aus. Eine
Millionen Fälle wären demnach auch nach geltendem Recht ohne die
Erleichterungen zu erwarten gewesen.

Die Regierung erwartet Mehrausgaben bei der Bundesagentur für Arbeit
(BA) von 10,05 Milliarden Euro. Die beschlossene Erstattung von
Sozialversicherungsbeiträgen schlägt demnach mit 5,99 Milliarden Euro
zu Buche - die zusätzliche Zahlung von Kurzarbeitergeld selbst mit
4,06 Milliarden Euro.

Die BA übernimmt bei Kurzarbeit 60 Prozent des ausgefallenen
Nettolohns. Bei Arbeitnehmern mit Kind sind es 67 Prozent. Bundesweit
gibt es bereits einen Ansturm von Unternehmen auf das erweiterte
Kurzarbeitergeld in der Coronakrise.

Die Gewerkschaften liefen Sturm gegen die Ausgestaltung der
Regelungen. Denn den Arbeitgebern sollen die
Sozialversicherungsbeiträge, die sie bei Kurzarbeit zu zahlen haben,
in voller Höhe erstattet werden. Verdi-Chef Frank Werneke sagte am
Abend der Deutschen Presse-Agentur in Berlin, es sei unsozial, dass
die Arbeitnehmer davon nichts bekämen.

Werneke forderte, dass für die Beschäftigten insgesamt 80 Prozent des
Lohns weiter fließen - bei Arbeitnehmern mit Kindern 87 Prozent. «Bei
großen Teilen der Beschäftigten ist Kurzarbeit sonst der sichere Weg
in die Sozialhilfe», sagte Werneke. In einer der dpa vorliegenden
Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) heißt es:
«Völlig inakzeptabel ist (...), dass diese Entlastung nunmehr
einseitig den Arbeitgebern zugutekommen soll. Dies erzeugt soziale
Schieflagen.»

Der DGB, der Arbeitgeberverband BDA und die Regierung hatten am
Mittwoch vereinbart, dass es weitere Gespräche geben solle, in denen
nach Wegen gesucht werden soll, wie Einkommenslücken - vor allem in
Härtefällen - geschlossen werden können. «Über die Wege hierzu ga
b es
noch keine Einigung», hieß es bei der BDA.

Das erleichterte Kurzarbeitergeld fließt rückwirkend zum 1. März.
Betriebe können Kurzarbeitergeld nutzen, wenn nur 10 Prozent der
Beschäftigten vom Arbeitsausfall betroffen sind - statt wie bisher
ein Drittel. Auch Zeitarbeitsunternehmen können die Leistung
anzeigen.

In einigen Branchen gibt es bereits Tarifregelungen über eine
Aufstockung. Nach einer Übersicht des Instituts WSI der
gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung verpflichten sich die
Arbeitgeber dabei, einen Zuschuss zu zahlen, so dass die
Beschäftigten zwischen 75 und 97 Prozent des Nettogehalts erhalten.
Bei der Deutschen Bahn seien es 80 Prozent des Bruttogehalts. Zu den
Branchen mit entsprechenden Aufstockungsregelungen gehören die holz-
und kunststoffverarbeitende Industrie in Sachsen, der Groß- und
Außenhandel in Nordrhein-Westfalen, das KFZ-Handwerk in Bayern und
die chemische Industrie. Entsprechende Regelungen gibt es außerdem
bei der Deutschen Telekom.

In der Metall und Elektroindustrie besteht eine flächendeckende
Aufstockungsregelung in Baden-Württemberg, wo das Kurzarbeitergeld je
nach Umfang der Kurzarbeit auf 80,5 bis 97 Prozent des Nettogehalts
erhöht wird. Beim Volkswagen-Konzern wird das Kurzarbeitergeld laut
WSI in Abhängigkeit der Entgeltstufen auf 78 bis 95 Prozent erhöht.

Für die Beschäftigten in der Systemgastronomie wird die Leistung nach
einer neuen Regelung auf 90 Prozent des Nettoentgelts aufgestockt.

«Insbesondere in den klassischen Niedriglohnsektoren gibt es oft
keine tarifvertraglichen Zuschüsse zum staatlichen Kurzarbeitergeld»,
sagte der WSI-Experte Thorsten Schulten.

Streit wurde in der Gastronomie öffentlich. Den Arbeitgebern der
Gastronomiebranche warf die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten
(NGG) am Donnerstag vor, sich entsprechenden Regelungen zu
verweigern. Die Arbeitgeber weigerten sich, einen Tarifvertrag über
Kurzarbeit mit Kündigungsschutz und einer Aufstockung des
Kurzarbeitergeldes abzuschließen, kritisierte der stellvertretende
NGG-Vorsitzende Freddy Adjan in Berlin. Das Gastgewerbe wies die
Forderung zurück. Diese seien «wirtschaftlicher Irrsinn und würden
viele Betriebe direkt in die Insolvenz treiben», erklärte der
Branchenverband Dehoga in Berlin.