Erst Mitterteich, dann bundesweit? Ausgangssperren in Corona-Zeiten Von Ute Wessels, Marco Hadem und Christoph Trost, dpa

Das Coronavirus breitet sich immer weiter aus. Die Zahl der
Infizierten schnellt vielerorts nach oben. Sollte sich das nicht
rasch ändern, drohen extreme Einschränkungen. Im oberpfälzischen
Mitterteich ist es schon soweit.

Mitterteich (dpa) - Auf diese Berühmtheit hätte Mitterteich gern
verzichtet: In dem Städtchen in der Oberpfalz, unweit der
tschechischen Grenze, gilt die bundesweit erste Ausgangssperre wegen
der Coronakrise. Als am Donnerstag die Frühlingssonne aufgeht, wird
der Ausnahmezustand in den Straßen rund um die katholische
Pfarrkirche St. Jakob aus dem Jahr 1890 praktisch erkennbar.

Polizisten kontrollieren die Hauptzufahrtsstraßen. Anders als manche
Passanten tragen sie noch keinen Atemschutz. Wer nicht in der
6500-Einwohner-Stadt wohnt oder etwas anliefert, muss draußen
bleiben. Berufstätige dürfen zur Arbeit, andere zum Einkaufen.
Schulen und Kindergärten haben aber schon seit Tagen zu. Auch das
Rathaus ist inzwischen geschlossen.

Gleichwohl blicken Ortsfremde an diesem Vormittag durchaus mit
Stirnrunzeln auf die Fußgänger, die unterwegs sind. Unter
Ausgangssperre stellt man sich dann doch was anderes vor. Nach
Ansicht der Polizei funktioniert sie aber. Nur vereinzelt hätten
Menschen bisher belehrt werden müssen. Letztlich sei auch viel
Eigenverantwortung gefragt.

Bis Mittwoch waren im umliegenden Landkreis Tirschenreuth 47
Corona-Infizierte registriert, 25 davon in Mitterteich. 15 Patienten
sind im Krankenhaus. Fünf mussten beatmet werden. Warum konnte sich
das Virus Sars-CoV-2 ausgerechnet hier so gut ausbreiten?

Als Gerücht geistert eine Annahme durch die Straßen, die dann auch
Einzug in den bayerischen Landtag hält. Ein Starkbierfest sei
vermutlich verantwortlich, sagt Ministerpräsident Markus Söder
(CSU) - und erinnert in seiner Regierungserklärung an die Debatte zur
Absage des Starkbierfests am Münchner Nockherberg vor wenigen Wochen.
Damals hagelte es Kritik. Aus jetziger Sicht ist das kaum noch
vorstellbar.

Bürgermeister Roland Grillmeier ist von der Starkbierfesttheorie
nicht überzeugt: Er kenne die Hälfte der Patienten, und seines
Wissens habe keiner davon das Fest besucht. Ein Krisenstab versucht
nun, die Infektionsketten nachzuvollziehen.

Die Parkplätze am Marktplatz in Mitterteich sind fast leer. Aus einem
Fenster im ersten Stock eines Wohnhauses beobachtet ein Mädchen ein
Kamerateam. In der Metzgerei gegenüber der Kirche ist ein Kommen und
Gehen. Es kämen aber viel weniger Kunden als sonst um diese Zeit,
sagt Eva-Maria Grillmeier, Ehefrau des Inhabers. Eine ältere Dame
bestellt Hackfleisch und Würste. Sie kauft auch für zwei Bekannte
ein.

Ob wirklich das bierselige Fest mit engen Sitzbänken und
feucht-fröhlicher Stimmung verantwortlich ist, kann noch niemand
sicher sagen. Am Mittag ist Mitterteich dann nicht mehr allein mit
der Ausgangssperre. Auch in zwei nahegelegenen Kommunen im Landkreis
Wunsiedel dürfen die Menschen nur noch mit triftigen Gründen das Haus
verlassen. «Die Fallzahlen sind dort auffällig schnell und stark
gestiegen», sagt eine Sprecherin des Landratsamts.

1450 Einwohner sind in Hohenberg an der Eger und im Ortsteil Neuhaus
von der Ausgangssperre betroffen. «Der Großteil der Infizierten im
Landkreis Wunsiedel lebt bei uns», sagt der Hohenberger Bürgermeister
Jürgen Hoffmann (SPD). Wie in Mitterteich rätseln sie über die
Ansteckungswege. Stammtisch? Beerdigung? Kirchgang?

Hört man Ministerpräsident Söder im Landtag zu, wird klar, dass
weitere Ausgangssperren schon bald notwendig sein könnten. «Wenn sich
viele Menschen nicht freiwillig beschränken, dann bleibt am Ende nur
die bayernweite Ausgangssperre als einziges Instrumentarium, um
darauf zu reagieren. Das muss jedem klar sein.» Auch die
Ministerpräsidenten anderer Bundesländer verschärfen die Tonlage.

In Mitterteich legen sich die Leute wie anderswo in Deutschland nun
Vorräte an, berichtet Metzgerei-Verkäuferin Grillmeier. Einige Kunden
lassen sich das Fleisch einschweißen zum Einfrieren. An der Theke
halten die Menschen Abstand voneinander. Die Warteschlange reicht bis
zur Tür hinaus.