Kretschmann droht mit Ausgangssperre - Unternehmen fordern Hilfe

Auch jetzt noch versteht nicht jeder die Dramatik: Angesichts der
raschen Ausbreitung des Coronavirus droht der Ministerpräsident mit
einer Ausgangssperre. Kleine und mittelgroße Unternehmer können
unterdessen auf ein milliardenschweres Hilfspaket hoffen.

Stuttgart (dpa/lsw) - Die Zahl der Infektionen mit dem Coronavirus
steigt und steigt in Baden-Württemberg - fast das ganze Land kämpft
gegen die Ausbreitung und deren Folgen. Ministerpräsident Winfried
Kretschmann (Grüne) appellierte noch einmal eindringlich an die
Bürger, die Einschränkungen einzuhalten. Man wolle Ausgangssperren
vermeiden. Aber wenn sich die Bürger nicht an die Regelungen hielten,
werde es wohl dazu kommen. «Es kann nicht sein, dass jetzt junge
Leute zu Corona-Partys rennen», sagte er am Donnerstag im Landtag in
Stuttgart. «Wenn nicht alle ihr Verhalten grundlegend umstellen, dann
kommen wir um härtere Maßnahmen und Sanktionen nicht herum.»

Kleine und mittelgroße Unternehmen können auf milliardenschwere
Hilfen des Landes hoffen. Der Landtag beschloss mit den Stimmen der
Opposition, die Coronakrise als Naturkatastrophe anzusehen.
Eigentlich darf das Land wegen der Schuldenbremse grundsätzlich keine
Kredite aufnehmen. Für Naturkatastrophen gibt es aber eine Ausnahme,
die jetzt genutzt wird. Die Parlamentarier wollten im Lauf des Tages
die Weichen für einen fünf Milliarden Euro schweren Rettungsschirm
für kleine und mittelgroße Firmen stellen, um diese bei hohen
Umsatzeinbußen vor der Insolvenz zu bewahren.

Im Land gelten schon seit Mittwoch strenge Einschränkungen des
öffentlichen Lebens. Alles, was notwendig ist, bleibt möglich - was
nicht notwendig ist, soll eingestellt werden. Öffentliche
Versammlungen sind grundsätzlich verboten - egal, wie viele Leute
daran teilnehmen. Viele Geschäfte haben geschlossen und mit heftigen
Umsatzeinbrüchen zu kämpfen. Einigen Betrieben brechen die Aufträge
weg oder sie können nicht mehr produzieren. Hotels sollen ihre Betten
nicht mehr zu rein touristischen Zwecken vergeben.

Der Hotel- und Gaststättenverband warnte am Donnerstag in einem
verzweifelten Hilferuf, dass die bisherigen Maßnahmen zur Rettung der
Betriebe nicht ausreichten. «Wir bitten die Landesregierung mit
höchster Dringlichkeit um die sofortige Einrichtung eines Hilfsfonds,
der unseren Betrieben hilft, diese extrem schwierige Zeit zu
überleben», sagte Verbandschef Fritz Engelhardt. Die Branche mit mehr
als 30 000 Betrieben und mehr als 135 000
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Land stehe am Abgrund.

Auch etliche Kliniken fürchten um ihre Existenz. Es brauche einen
sofortigen finanziellen Schutzschirm für alle Krankenhäuser, sagte
Matthias Einwag, Hauptgeschäftsführer der Baden-Württembergischen
Krankenhausgesellschaft. «Wenn der nicht kommt, werden wir
Insolvenzen sehen.» Man blicke auch in Bezug auf Kapazitäten mit
Sorge auf die kommenden Tage und Wochen. «Dadurch, dass sich das
Virus so schnell verbreitet, kommen wir schnell in eine
Größenordnung, die das Versorgungssystem unter Stress setzt», sagte
er. Es mangele nicht nur an Geräten, sondern vor allem an Personal.

Die Zahl der Infektionen in Baden-Württemberg stieg bis
Mittwochnachmittag auf 2184 an. Acht Menschen, die das Coronavirus in
sicht trugen, sind bislang gestorben. Oberste Priorität hat laut
Fachleuten, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, um das
Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Dazu gehört auch, weitgehend
auf soziale Kontakte zu verzichten, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel
(CDU) in einer TV-Ansprache am Mittwochabend mehrfach betonte.

Einige Menschen nehmen diese Anweisungen aber nicht ernst. Die
Freiburger Polizei musste in der Nacht zum Donnerstag mehrfach wegen
sogenannter Corona-Partys ausrücken. Vor allem Jugendliche und
Heranwachsende hätten sich trotz der Verbote zum Beispiel auf Grill-
und Spielplätzen getroffen, teilte das Polizeipräsidium mit. Die
Gruppengrößen seien zwei- bis dreistellig gewesen - in einem Fall
habe es sich um geschätzt 120 Menschen gehandelt, sagte ein Sprecher.
Einige junge Leute hätten sich uneinsichtig verhalten, als die
Polizisten die Treffen auflösten und Platzverweise erteilten.