«Ein Rennen gegen den Tod» - Leichensäcke im Kleinbus in Wuhan Von Andreas Landwehr, dpa

Tote und Kranke liegen nebeneinander. Die Realität kollidiert mit der
Propaganda. Der Bau von zwei Behelfskliniken in nur zwei Wochen soll
Leistungsfähigkeit demonstrieren. Aber es reicht alles noch nicht.

Wuhan (dpa) - «Es ist vorbei. Er kann nicht atmen», sagt die Frau
verzweifelt. Ihr Vater liegt in dem Krankenbett im Hospital Nr. 5 der
Metropole Wuhan. «Es gibt keine Lebenszeichen mehr.» Der Blogger Fang
Bin zeichnet die traurige Szene auf Video auf. Vor dem Krankenhaus
filmt er in einem Kleinbus acht gelbe und orange Säcke mit Leichen.
Er will die Wahrheit in den überfüllten Krankenhäusern der schwer von

der Lungenkrankheit betroffenen Provinzhauptstadt von Hubei ans
Tageslicht bringen, stellt seine Erlebnisse ins Internet.

Am selben Abend klingelt es an der Tür. Männer in Schutzanzügen geben

vor, vom Gesundheitsamt zu sein, dringen in seine Wohnung ein. Sie
wollten seine Temperatur messen, weil er an dem Tag vier
Krankenhäuser besucht habe. «Sie sind an gefährlichen Orten gewesen.
»
Nach einigem Gerangel nehmen sie Fang Bin, seinen Laptop und sein
Handy mit auf die Polizeistation. Er wird verhört, bedroht.

Gegen Mitternacht werden die Beamten plötzlich nett - seine
Videoclips haben sich im Internet verbreitet wie ein Lauffeuer.
Freunde und Anwälte rufen bei Gesundheitsämtern an, suchen ihn. Die
Polizei lässt Fang Bin laufen. Er schildert seine Erlebnisse wieder
in Videos, die er ins Internet hochlädt.

Seine Aufnahmen von überforderten Krankenhäusern, Patienten mit
Infusionen oder in Betten liegend in vollen Gängen sind kein
Einzelfall. Ein anderes Video auf Twitter zeigt die gleichen gelben
und orangen Leichensäcke in einem unbekannten Hospital in Wuhan auf
dem Boden direkt neben Betten mit Kranken - selbst auf Sitzen im
Wartesaal, wo auch Patienten warten. In Schutzanzügen vermummte
Krankenpfleger können sich gar nicht um alles kümmern.

Ganz anders dagegen die Propagandaaufnahmen vom Einzug der ersten
Patienten in die zwei - in weniger als zwei Wochen hoch gezogenen -
Behelfskrankenhäuser. Vier, fünf Ärzte oder Krankenpfleger kümmern

sich um jeweils einen Patienten, der aufgenommen wird. So wollen die
Bilder im Staatsfernsehen suggerieren, dass das System funktioniert.

In Windeseile in weniger als zwei Wochen wurden die Nothospitäler in
Schnellbauweise mit Fertigteilen rund um die Uhr gebaut. Schon die
Bilder von den bunten Baggern, die anfangs den Platz ebneten, gingen
um die Welt. Über 4000 Arbeiter waren rund um die Uhr beschäftigt.
Solch revolutionärer, heldenhafter Einsatz hat in China Tradition.

«Zeit ist Leben», zitiert die Tageszeitung «China Daily» den
Zulieferer Chen Ye, der Schnellbauteile für das Gebäude geliefert
hat. «Es ist ein Rennen gegen den Tod.» Er war schon an den
Rettungsarbeiten nach dem schweren Erdbeben mit mehr als 70 000 Toten
2008 in der Provinz Sichuan beteiligt.

Räumte das Politbüro diese Woche erstmals «Unzulänglichkeiten und
Defizite» in der Reaktion auf den Ausbruch der Lungenkrankheit ein,
sollte bei den Bauten auch die Leistungsfähigkeit des kommunistischen
Systems demonstriert werden. Betonmischer standen Schlange, ebenso
Lastwagen mit medizinischen Geräten, Betten, Klimaanlagen und anderen
elektrischen Gerätschaften. Fehlen sonst Schutzanzüge, Mundschutz und
Gummihandschuhe - hier wird scheinbar aus dem Vollen geschöpft.

Das erste Hospital, das am Montag eröffnet wurde, hat 1000 Betten auf
34 000 Quadratmeter. Jedes Zimmer sei mit zwei Betten, separatem
Badezimmer, Dusche, Fernseher und Klimagerät ausgestattet, schildern
Staatsmedien. Festnetz, Glasfaser - es gebe sogar schnelles Internet
nach dem modernsten 5G-Mobilfunkstandard. 1400 Ärzte und Pfleger der
Volksbefreiungsarmee sollen sich um die Patienten kümmern.

Das erste Nothospital heißt «Huoshenshan», «Berg des Feuergottes»
-
das zweite «Leishenshan», «Berg des Donnergottes». Nach dem
Volksglauben sollen die beiden Götter helfen, Krankheiten zu
bekämpfen. Ärztlich viel Personal übernimmt am Mittwoch das zweite
Behelfskrankenhaus mit 1400 Betten über 75 000 Quadratmeter.

Wuhan allein zählt allerdings schon mehr als 8000 Infizierte, die
ganze Provinz fast 17 000. Da müssen schnell mehr Betten her. So
werden das internationale Ausstellungszentrum, das Tagungszentrum
Wuhan Parlor sowie das Hongshan-Stadion in Lazarette mit Tausenden
Feldbetten für Patienten mit milden Symptomen umgebaut.

Nach einer Sitzung der Führungsgruppe im Kampf gegen die
Lungenkrankheit unter Leitung von Premier Li Keqiang in Peking wird
am Mittwoch auch angekündigt, «einige Hotels, Stadien und
Trainingszentren» in Krankenlager umwandeln zu wollen. Allen ist
klar: Die Zahl der Erkrankten wird noch steigen - denn der Höhepunkt
der Epidemie ist noch längst nicht erreicht.