Virus vermasselt Neujahrsfest in China: «Die Stimmung ist schlecht» Von Andreas Landwehr, dpa

Die Angst vor der Lungenkrankheit geht um. Das Ausmaß der Ansteckung
von Ärzten und Pflegern wird vertuscht. Haben die Behörden zu langsam
reagiert? Wie lange müssen die Millionenstädte in Quarantäne bleiben?


Wuhan/Peking (dpa) - So ein trauriges Neujahrsfest hat es in China
schon seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben. Nach dem Ausbruch der
Lungenkrankheit sind zig Millionen Menschen in der Metropole Wuhan
und umliegenden Städten praktisch von der Außenwelt abgeschottet. Der
Nahverkehr, Flüge und Züge wurden gestoppt, die Menschen trauen sich
nicht vor die Tür. Die Angst vor dem Virus ist groß. «Die Stimmung in

der Familie ist sehr schlecht», schildert Zhang Lin, Professorin an
der Wuhan Universität, die ihre Eltern zu dem wichtigsten
chinesischen Familienfest zu Besuch hat. «Die Gemütslage ist sehr
gedrückt.»

Die Krankenhäuser können den Ansturm der Kranken nicht bewältigen.
Viele Krankenpfleger und Ärzte sind selber erkrankt. Das wahre Ausmaß
wird offenbar vertuscht. Offiziell ist nur von 15 Infektionen bei
Krankenhauspersonal die Rede. Ein hoch ansteckender Patient, der als
eine Art «Super-Spreader» das Virus verbreitet hatte, habe allein 14
Mitarbeiter angesteckt, wird berichtet.

Über Wochen waren Lungenkranke behandelt worden, ohne dass die
Übertragung des neuartigen Virus von Mensch zu Mensch bekannt war.
Ärzte, die namentlich nicht genannt werden wollen, berichten
Hongkonger Journalisten, das wesentlich mehr angesteckt worden seien
als offiziell zugegeben. In einem Krankenhaus sei ein ganzes Wohnheim
für die Quarantäne angesteckter Mitarbeiter eingerichtet worden.

«Es lassen sich infizierte Krankenhausmitarbeiter in fast allen
größeren Krankenhäusern in Wuhan finden», sagte ein Arzt der
Hongkonger Zeitung «South China Morning Post». Lungenkranke waren mit
normalen Patienten im selben Zimmer, bekamen Besuch, wurden behandelt
ohne jede Vorsichtsmaßnahme. «Viele medizinische Angestellte sind
deswegen erkrankt», wird ein weiterer Arzt zitiert.

Die Zahl der Erkrankten steigt täglich. Es fehlt an Betten und an
Tests, um Infizierte zu diagnostizieren. «Jetzt sind viele
Krankenhäuser nicht mehr in der Lage, so viele Patienten
unterzubringen», berichtet ein Studienabsolvent in Wuhan. «Die Zahl
der Kranken muss höher sein als offiziell berichtet», ist der
21-Jährige überzeugt. Es sei traurig: «Die Auswirkungen sind schon
heftig», sagte er. «Heute ist der Neujahrsabend. Ich werde zuhause
mit meiner Familie zu Abend essen und Fernsehen schauen.»

Vor die Tür gehen sie möglichst nicht. «Ich gehe nicht raus, wenn es

nicht notwendig ist», sagt der 21-Jährige. «Und wenn, trage ich
Mundschutz, bleibe nicht zu lange draußen, wasche meine Hände häufig

und passe auf Sauberkeit auf.» Über die Versorgungslage in der
abgeschotteten Stadt macht er sich keine allzu großen Sorgen. «Die
Nahrungsmittelknappheit ist nicht so ernst wie manche sagen.»

Ohnehin sind wegen des Neujahrsfestes, das nach dem traditionellen
Mondkalender begangen wird, die meisten Geschäfte und Restaurants zu.
Auch Universitäten und Schulen haben Ferien. In den Fabriken und
Büros wird nicht gearbeitet. So kommt das Land jedes Jahr zum
wichtigsten Familienfest der Chinesen praktisch zum Stillstand. Viele
Leute kaufen deswegen vorher schon Vorräte ein.

Trotzdem kam es in Wuhan zu Hamsterkäufen von Reis, Speiseöl oder
Fertignudeln, wie berichtet wurde. Supermarktregale wurden leer
gefegt. Es gab Klagen über explodierende Gemüsepreise, als das
öffentliche Verkehrswesen lahmgelegt und damit die Krise allen
bewusst wurde. Gesichtsmasken sind vielerorts ausverkauft.

Wie lange die Millionenmetropolen in Zentralchina jetzt praktisch in
Quarantäne genommen werden, ist unklar. Ohnehin dauert das Fest zwei
Wochen. Aber die Ferien können auch mal vier Wochen gehen. Einige
Hundert Millionen Menschen sind zu ihren Familien in die Heimatorte
gefahren. Gerade diese «größte jährliche Völkerwanderung» dür
fte das
Virus erst so richtig im Land verbreitet haben.

Aus Sicht des Virologen Guan Yi von der Hongkong Universität, der
wegen des Ausbruchs nach Wuhan gereist war, kam die Abschottung ab
Donnerstag deswegen auch zu spät. Überhaupt hätten die Behörden der

Elf-Millionen-Metropole den Ernst der Lage nicht schnell genug
begriffen. «Ich denke nicht, dass die lokalen Stellen getan haben,
was sie konnten», sagte Guan dem chinesischen Magazin «Caixin», was
dort trotz Zensur auch nachzulesen ist.

Am Sonntag gab es in Wuhan sogar noch in alter Tradition ein großes
Essen zum Neujahrsfest, zu dem die Stadt rund 40 000 Menschen
eingeladen hatte. Viele Ärzte schütteln heute den Kopf darüber. Zu
dem Zeitpunkt sprach schon vieles dafür, das das Virus von Mensch zu
Mensch übertragen wird. Am Tag drauf wurde es offiziell bestätigt.
Nur vier Tage später werden sogar Tempelfeste zum Neujahrsfest selbst
im fernen Peking abgesagt oder Disneyland in Shanghai geschlossen, um
solche Ansammlungen von Menschen zu vermeiden, damit sich das Virus
nicht weiter verbreiten kann.