Mehr als 13 000 Fälle: Grippewelle in Deutschland gestartet Von Gisela Gross, dpa

Während ein neuer Erreger aus China für Aufregung sorgt, ist
hierzulande die Grippewelle losgerollt. Dabei sind Tausende Fälle und
auch tödliche Verläufe die Regel. Was man in diesem Winter wissen
muss.

Berlin (dpa) - Husten, Schnupfen, Heiserkeit: Wer bisher in diesem
Winter mit solchen Symptomen das Bett hütete, fühlte sich vielleicht
vergrippt, litt aber wahrscheinlich an einer harmlosen Erkältung.
Vorrangig solche Erreger kursierten jedenfalls. Seit dem
Jahreswechsel finden Experten in Proben von Patienten aber zunehmend
echte Grippeviren, die Zahl bestätigter Fälle steigt. Offiziell hat
die Grippewelle in Deutschland nun begonnen, wie aus einem aktuellen
Bericht des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin hervorgeht.

«Die Welle wird sich noch etliche Wochen hinziehen», sagte
RKI-Expertin Silke Buda der Deutschen Presse-Agentur. Sich noch
impfen zu lassen, sei möglich. Empfohlen wird die Impfung unter
anderem Menschen ab 60, chronisch Kranken, Schwangeren sowie Ärzten
oder Pflegekräften. «Man sollte sich jetzt aber sputen: Bis der
Schutz aufgebaut ist, dauert es bis zu 14 Tage», sagte Buda. Laut
Paul-Ehrlich-Institut wurden mehr als 21 Millionen Impfdosen
freigegeben.

Seit Saisonbeginn im Oktober 2019 sind bundesweit 13 350 durch
Laboranalysen bestätigte Fälle gemeldet worden, davon 4439 in der
vergangenen Woche. Bisher starben daran nachweislich 32 Menschen.
Mehr als 3500 Patienten wurden wegen Grippe im Krankenhaus behandelt.
Gemeldet wurden zudem zum Beispiel 15 Ausbrüche in Kindergärten.

Diese Zahlen zeigen nur einen Ausschnitt des tatsächlichen
Geschehens: Nach RKI-Schätzungen werden im Verlauf von Grippewellen 5
bis 20 Prozent der Bevölkerung angesteckt. Mehrere Zehntausend Tote
bei heftigen Wellen werden angenommen - meist sind Senioren
betroffen, die das höchste Risiko für einen schweren
Krankheitsverlauf haben. Die Schwere der Welle schwankt von Jahr zu
Jahr. Im vergangenen Winter wertete das RKI den Verlauf als moderat.

Das Wetter kann die Übertragung nach RKI-Einschätzung indirekt
beeinflussen. Bei sehr kaltem Wetter hielten sich Menschen länger in
geschlossenen Räumen auf und trockene Heizungsluft könne die
Schleimhäute der Atemwege unter Umständen infektionsanfälliger
machen. Auch könnten die Tröpfchen, die von Kranken ausgehustet
werden, bei Kälte länger in trockener Raumluft schweben und damit
über etwas größere Distanzen auf die Atemschleimhäute anderer
Menschen gelangen. «Für die Schwere einer Grippewelle und die Zahl
der Erkrankungen sind aber andere Faktoren sicher wichtiger, zum
Beispiel die Immunität in der Bevölkerung durch vorausgegangene
Grippewellen», betonte Buda.

Die Oberflächenstrukturen von Influenzaviren ändern sich von Jahr zu
Jahr, wie der Direktor der Klinik für Pneumologie der Medizinischen
Hochschule Hannover, Tobias Welte, erläutert. Für das Immunsystem
bedeutet das wechselnde Herausforderungen. Auch der Impfstoff muss
jährlich an die veränderten Strukturen angepasst werden - Monate vor
Saisonbeginn gemäß Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation
(WHO). Ein Piks alle zehn Jahre wie bei manch anderer Impfung ist bei
Influenza daher nicht möglich.

Wiederholt war jedoch der Schutz, den die Impfung bot, nicht optimal.
«In den vergangenen zehn Jahren lagen die WHO-Empfehlungen in
mindestens drei Jahren komplett falsch», sagte Welte. Während die
Herstellung von Millionen Impfdosen läuft, wandeln sich die Erreger
weiter. So kann es kommen, dass der Impfstoff nicht mehr passt. Bei
älteren Menschen kommt hinzu, dass das Immunsystem oft nicht mehr so
fit ist und die Impfung daher nur schwächeren Schutz bietet. Das RKI
verwies allerdings immer wieder darauf, dass angesichts der
Häufigkeit der Grippe immer noch zahlreiche Fälle mit der Impfung
verhindert werden, sie gelte als wichtigste Schutzmaßnahme.

Wissenschaftler verfolgen international schon länger die Idee,
andere, effizientere Ansätze zu finden: zum Beispiel einen
Universalimpfstoff gegen alle Grippeerreger. Die Vorstellung sei «ein
großer Traum», für dessen Erfüllung aber noch viel Arbeit nötig s
ei,
sagte Welte. Solche Impfstoffe, die etwa gegen weniger variable
Kernstrukturen des Virus gerichtet sind, befänden sich in frühen
Entwicklungsphasen, etwa im Tiermodell. Bis zur Zulassung für den
Einsatz am Menschen vergingen ab dann mindestens noch zehn, eher 15
Jahre, so der Experte. Gegebenenfalls könne die Politik das Verfahren
beschleunigen, solle eine geeignete Substanz gefunden sein.

Eine echte Grippe beginnt oft plötzlich. Zu typischen Symptomen
zählen Fieber, Husten, Halsschmerzen, Schnupfen, Glieder- und
Kopfschmerzen sowie ein allgemeines Krankheitsgefühl. Neben milden
Verläufen sind auch Komplikationen möglich, etwa mit
Lungenentzündung.