Gesundheitszentrum statt Ärztemangel Von Sandra Trauner, dpa

Wie sich eine kleine Gemeinde im Westerwald selbst hilft und dabei
für Fachkräfte attraktiv wird. Beim Vor-Ort-Besuch ist auch der
Minister angetan. Andere Kommunen könnten von Breitscheid lernen,
schlägt er vor, und sichert Unterstützung zu.

Wiesbaden/Breitscheid (dpa/lhe) - «Breitscheid baut seine Zukunft»
steht auf dem Plakat neben der Baustelle. Wo heute noch Bagger am
Werk sind, soll im August das Gesundheitszentrum der kleinen
Westerwald-Gemeinde eröffnen. Mieter: eine Apotheke und ein
Hörgeräteakustiker, Tages- und Intensivpflege, ein Physiotherapeut,
ein Bäcker, zwei Banken und: ein Ärztezentrum. Vier Mieter für die
sieben Behandlungszimmer sind schon gefunden. Ein Konzept, das
Gesundheitsminister Kai Klose (Grüne) am Mittwoch «beispielhaft»
nannte.

Denn in vielen ländlichen Regionen Hessens wird Hausarztnachwuchs
händeringend gesucht. Besonders großer Bedarf für Hausärzte besteht

laut Kassenärztlicher Vereinigung (KV) Hessen etwa im Bereich von
Allendorf und Sontra in Nordhessen sowie in Idstein
(Rheingau-Taunus-Kreis). Verschiedene Projekte sollen dem Ärztemangel
begegnen. In Nordhessen etwa tourt ein «Medibus», quasi eine mobile
Praxis, durch die Orte. Verschiedene Förderangebote der KV sollen die
Niederlassung attraktiver machen. Nicht immer reicht das aus.

Michael Saar, Allgemeinarzt in Breitscheid, ist 67 Jahre alt. Auch
alle anderen Kollegen im Ort haben die 60 überschritten. Die
Prognose, dass die Praxen verwaisen, weil niemand sie übernehmen
will, «hat uns richtig erschüttert», berichtet der Arzt. Zusammen mit

den Lahn-Dill-Kliniken und dem Landkreis entwickelte er die Idee für
das «Landarztnetz». Die Ärzte sind bei einer GmbH angestellt. Sie
können Teilzeit arbeiten, werden von Verwaltungsaufgaben entlastet,
tragen nicht das finanzielle Risiko der Selbstständigkeit. Neun Ärzte
versorgen aktuell an vier Standorten rund 7000 Patienten.

Saar hatte zu Beginn seiner Laufbahn Hunderttausende Euro Schulden
und arbeitete nach eigenen Angaben 55 bis 60 Stunden die Woche. Seine
Nachfolgerin ist Mutter dreier Kinder und wäre unter solchen
Bedingungen nicht zur Verfügung gestanden. Im Gesundheitszentrum ist
sie - wie aktuell drei weitere Ärzte - in Teilzeit dabei. «Gemeinsam
haben wir einen Mietvertrag unterschreiben können, die jeder Einzelne
von uns nie hätte unterschreiben können» sagt Saar.

Seit 2011 ist Breitscheid dran an seinem Gesundheitszentrum,
berichtet Bürgermeister Roland Lay (parteilos). Ein erster Anlauf mit
einem Investor aus Ostdeutschland scheiterte, 2017 gelang mit einem
privaten, lokalen Investor der zweite Start. Sechs bis sieben
Millionen Euro investiert Torsten German nach eigenen Angaben in das
Zentrum. Im Juli 2019 wurde der Grundstein gelegt. Dank drei
Existenzgründungen sind laut Bürgermeister im Gesundheitszentrum rund
30 neue Arbeitsplätze entstanden. Im Obergeschoss können die frisch
eingestellten Pflegekräfte in Personal-Wohnungen einziehen.

Mit Geld und Expertise will das hessische Sozialministerium den
Aufbau solcher Zentren auf dem Land fördern. Im Haushalt 2020 stehen
laut Klose fast fünf Millionen Euro zur Förderung solcher
Einrichtungen zur Verfügung. Außerdem werde eine Serviceeinheit im
Ministerium aufgebaut, die die Akteure vor Ort berät und miteinander
vernetzt: «Es muss ja nicht jeder Ort das Rad neu erfinden.» «Die
gesundheitliche Versorgung insbesondere älterer Menschen in
ländlichen Regionen ist eine große Herausforderung», gab Klose zu:
Immer weniger Fachkräften stünden immer mehr ältere Bürger gegenü
ber.


Am Beispiel Breitscheid zeigt sich auch, wie die Bundespolitik bis in
den tiefsten Westerwald hineinreicht. Ein gesundheitspolitisches
Grundproblem ist die strikte Trennung zwischen ambulanter und
stationärer Versorgung - also zwischen Arztpraxen und Krankenhäusern.
«Das wird in Zukunft auf dem Land nicht mehr funktionieren», sagte
Landrat Wolfgang Schuster (SPD) und stieß damit beim Minister auf
offene Ohren. «Sektorenübergreifende Konzepte sind ein wichtiges
Versorgungsmodell der Zukunft», sagte Klose.