Neues Virus: Sprunghaft mehr Nachweise in China - Erster Fall in USA

Erneut ist die Zahl nachgewiesener Fälle der neuen Lungenkrankheit in
China in die Höhe geschnellt. Viele Chinesen fühlen sich an die
Sars-Pandemie von 2002/2003 erinnert. Auch außerhalb der
Volksrepublik gibt es weitere Fälle - erstmals auch in den USA.

Peking/New York (dpa) - Mit gut 150 Nachweisen binnen eines Tages ist
die Zahl erfasster Fälle einer neuartigen Lungenerkrankung in China
erneut deutlich gestiegen. Die Zahl der Todesfälle stieg um weitere
drei auf neun, wie Chinas Staatsrat am Mittwoch berichtete. Bis zum
Abend (Ortszeit) waren 473 nachweislich mit dem Coronavirus Erkrankte
erfasst. Auch außerhalb Chinas wurden weitere Infektionen bekannt.
Erstmals wurde ein Fall in den USA gemeldet.

In Europa gibt es bislang keine Nachweise. Nach Einschätzung der
Bundesregierung bedeutet die Ausbreitung der neuen Lungenkrankheit
nur ein «sehr geringes» Gesundheitsrisiko für die Menschen in
Deutschland. Es gebe keinen Grund, jetzt in Alarmismus zu verfallen,
sagte ein Sprecher von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

In den USA sei ein Mann erkrankt, der nach einer Reise in die
chinesische Stadt Wuhan am 15. Januar in die Westküstenmetropole
Seattle zurückgekehrt war, teilte die US-Gesundheitsbehörde CDC am
Dienstag (Ortszeit) mit. Der Mann in seinen 30ern habe bei der
Rückreise noch keine Symptome bemerkt, sich später aber zur
Untersuchung in ein Krankenhaus begeben. Sein Zustand sei gut. Es
bestehe nur ein sehr geringes Risiko, dass er weitere Menschen
angesteckt haben könnte, hieß es. Die Behörden seien dabei, eine
Liste der Menschen zusammenzustellen, mit denen der Mann Kontakt
hatte.

Die Krankheit war zuvor bereits in Japan, Südkorea, Taiwan und
Thailand nachgewiesen worden - bisher stets bei Menschen, die sich
zuvor in China aufgehalten hatten. In Thailand sind mit zwei neuen
Fällen inzwischen vier Erkrankte erfasst, wie das
Gesundheitsministerium mitteilte. Thailands Behörden haben demnach
seit Anfang Januar rund 20 000 Menschen auf mögliche Symptome wie
Fieber kontrolliert, die mit Flügen aus Wuhan gekommen waren.

Russland will die Kontrollen an allen Grenzposten verstärken. «Wir
wollen so verhindern, dass das Coronavirus in unser Land
eingeschleppt wird», sagte Jelena Jeschlowa von der russischen
Verbraucherschutzbehörde der Agentur Tass zufolge. Vor allem an der
rund 4200 Kilometer langen Grenze zu China sollen Einreisende mit
Temperaturmessungen kontrolliert und zusätzlich befragt werden.

Es wird vermutet, dass das neue Coronavirus von einem Fischmarkt in
der zentralchinesischen 11-Millionen-Metropole Wuhan kommt, auf dem
auch Wildtiere verkauft wurden. Man gehe zum jetzigen Zeitpunkt davon
aus, dass die Quelle ein Wildtier auf dem Markt gewesen sei, sagte
Gao Fu, Direktor des chinesischen Zentrums für Seuchenkontrolle.
Demnach gab es zunächst Übertragungen vom Tier zum Menschen, bevor
das Virus sich an seinen neuen Wirt anpasste und es zu Übertragungen
zwischen Menschen kam. 

Mit der gerade laufenden Reisewelle zum chinesischen Neujahrsfest am
kommenden Samstag wächst die Gefahr einer Ausbreitung der
Viruskrankheit. Bei der größten jährlichen Reisewelle des Landes sind

einige Hundert Millionen Chinesen unterwegs. Gesundheitsexperten
befürchten, dass besonders ansteckende Patienten das Virus schneller
streuen könnten. Sogenannte Superverbreiter (engl. Superspreader)
hatte es auch bei der ebenfalls von China ausgegangenen Sars-Pandemie
gegeben, der 2002/2003 rund 800 Menschen zum Opfer fielen.

Das neue Virus gehört zur selben Virusart, es ist nur eine andere -
nach derzeitigem Stand harmlosere - Variante. Gerade auch wegen der
Erinnerungen an den Sars-Ausbruch ist die neue Erkrankung bei
Menschen in China zum allgegenwärtigen Thema geworden. Das Land war
damals praktisch zum Stillstand gekommen, Schulen blieben über Wochen
geschlossen. Sars-Viren gehören zu den Coronaviren, die oft harmlose
Erkrankungen wie Erkältungen verursachen. Allerdings gehören auch
Erreger gefährlicher Atemwegskrankheiten wie Mers dazu.

In Peking sind inzwischen ungewöhnlich viele Menschen mit
Schutzmasken unterwegs. In einigen Geschäften waren diese bereits
ausverkauft. Familien diskutierten, ob geplante Reisen über die
Feiertage abgesagt werden sollten.

Experten sind überzeugt, dass Reisende die neue Lungenkrankheit
zumindest vereinzelt auch nach Europa bringen werden. Die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte wegen der Lungenkrankheit
ihren Notfallausschuss einberufen. Die Experten berieten am Mittwoch.
Auch die EU-Kommission plante zur Bewertung der Risiken durch die
neue Lungenkrankheit ein Treffen.

Die WHO kann einen internationalen Gesundheitsnotstand ausrufen und
damit schärfere Maßnahmen zur Bekämpfung der Seuche empfehlen. Als
in China vor mehr als 17 Jahren das Sars-Virus auftauchte, empfahl
die WHO Maßnahmen wie Fiebermessungen an Flughäfen der betroffenen
Region. Damit sollten möglicherweise Erkrankte erkannt und vom Reisen
abgehalten werden. Flughäfen in anderen Ländern wie Singapur
installierten für ankommende Fluggäste Tore mit Wärmebildkameras. So

wollten sie fiebernde Passagiere herausfiltern. Damals gab es das
WHO-Prozedere zur Erklärung einer «Notlage von internationaler
Tragweite» (public health emergencies of international concern;
PHEIC) noch nicht.

Auch nach Ausbruch der Schweinegrippe 2009 empfahlt die WHO solche
Messungen. Forscher an der Universität von Perth in Australien kamen
in einer Studie 2015 zu dem Schluss, dass die Maßnahmen nicht
effektiv waren. In Singapur seien 2009 von 116
Schweinepest-Infizierten nur 15 am Flughafen entdeckt worden, in
Japan seien nur 10 von 151 Reisenden aufgefallen, die später diese
Grippeform hatten. Reisende können demnach infiziert sein und andere
anstecken, bevor sie Symptome wie Fieber entwickeln.

Auch vom Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin hieß es, es gebe keine
wissenschaftlichen Belege für die Wirksamkeit sogenannter Entry
Screenings an Flughäfen, also Kontrollen bei der Einreise. Sinnvoll
seien Exit Screenings in von einer Erkrankungswelle besonders
betroffenen Gebieten. Wuhan hat entsprechende Kontrollen bei der
Ausreise bereits eingeführt.